Direkt zum Hauptbereich

Was ist das Äquivalent zu Zahnreinigung in der Mietpreispolitik?

Es fing so an: Seit einigen Jahren blutet mein Zahnfleisch beim Zähneputzen. Am Anfang fand ich es noch witzig, dann begann ich auf den Genuss von Äpfeln (und den Konsum von Eis) zu verzichten, denn nach einem beherzten Biss in einen solchen fand ich immer häufiger nicht nur die Form meiner Hasenzähne im Fruchtfleisch wieder sondern auch rote Flecken, die ich als Blut identifizierte. Das Amüsement wich. Es wich der Gleichgültigkeit gegenüber dem Blut, dem blutigen Lächeln dass zum morgendlichen Ritual wurde, sobald der Bürstenkopf im Mundraum sein Werk vollbracht hat. Ich habe dann irgendwann den Spiegel vom Waschbecken entfernt. 

Nebenbei möchte ich anmerken, dass ich auch alle anderen Spiegel aus meinen Gemächern entfernt habe und ich schlafe besser. Es ist ein interessantes Experiment zur Selbstsicherheit für eine gewisse Zeit alle Spiegel zu entfernen. So bemerkt man, wie gewohnt man daran ist sich seiner selbst und der Existenz durch die Spiegelung zu vergewissern. Es gab mal eine Zeit, da habe ich mich selbst nicht in Schaufenstern überprüft. Heute versuche ich mich daran, dies nicht ständig zu tun. Ist Eitelkeit nicht eine Todsünde? Habe ich zur Religion gefunden? Wie ist es bei euch? (Sagt's mir mit nem Kommentar.)

Von der Selbstvergewisserung zurück zu den Zähnen. Letzte Woche habe ich dann endlich beschlossen mal zu einem Dentisten zu gehen, denn mir wurde von verschiedenen Seite nahegelegt, dass eine Zahnreinigung (professionell) Abhilfe für meine Probleme schaffen könne. Ich fuhr seit mehr als einem Jahr wöchentlich am Gebäude meines Arztes vorbei, aber der Geist war erst, wie bereits erwähnt, vor 7 Tagen bereit und ich griff zum Hörer und sprach frei heraus herein, dass ich gern eine Zahnreinigung bekommen würde. Prompt bekam ich einen zeitnahen Termin. 

Die Tage vor jenem waren nicht von Angst aber von einer gewissen Anspannung geprägt. So wie vor einer Schulprüfung, dem Besuch beim Arbeitsamt. Vor etwas, dass gesellschaftlich nötig scheint, im eigenen Kosmos aber zumindest zu diesem Zeitpunkt nur ein notwendiges Übel ist um weiter existieren zu können. So werden Menschen gesellschaftsfähig geformt. Vor dem Tag der Reinigung habe ich mir dann prophylaktisch schon mal die Platte Yellow Moon von den Neville Brothers erworben in Anlehnung an die Trostgeschenke, die ich früher nach Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten von meinen Eltern bekam. Ich wollte sie mir danach anhören. 



Vor dem Hauseingang der Praxis roch es streng nach Hunde- und Menschenurin. Ich ignorierte dies, betrat die Praxis und wurde in einen der Behandlungsräume geführt. Aus einem im Militärdesign gehaltenem Kofferradio der Marke JEEP® tönte MDR Jump. Man nannte mich Herr Völkel, was daran lag, so das Personal, dass ich meine Krankenkarte vergessen habe. Ich reichte sie später nach. Desweiteren wurde mir mitgeteilt, dass mein Zahnarzt die Praxis schon lange verkauft habe und ein ganz neues Team am Start sei. Kurze erlag ich der Fantasie, dass ich jetzt in den Händen von Horrorärzten bin, die mir Zähne und Fingernägel gleichzeit ziehen werden. 

Aber es kam ganz anders. Die Reinigung war unangenehm, es wurden Zahnsteine entfernt. Einen besonders großen Nugget, zeigte mir die Ärztin stolz auf der Spitze ihres Zeigefingers balancierend. Der Handschuh war blutverschmiert. Ich wusste auch immer wann das Blut lief, ohne es zu sehen. Der Reinigungsschlauch, der einem in meinen Mund geklemmt war (früher wurden die noch von Assistenten gehalten, bevor jemand auf die Idee kam, sie wie einen Spazierstock zu biegen und dem Patienten in den Mund zu hängen.) sprüht ja ein wenig Wasser, damit die ganze Suppe die beim Reinigen entsteht besser abgesaugt werden kann. Dieses Wasser war angenehm kühl. Und ich wusste, immer wenn es warm wird, fließt Blut. Mein Blut.

Ich lag da und konzentriete mich darauf, die Verkrampfung meiner Arme und Beine in regelmäßigen Abständen zu lösen. Die Ärztin, bzw. kann es auch eine Zahntechnikern gewesen sein, war sehr kompetent und gründlich. Als sie gegen Ende der Behandlung mit einer Miniatur-Beet-Hacke nochmal überall unters Zahnfleisch ging und an meinen Zähnen rüttelte, sagte sie: "Manchmal muss man sich auch auf seinen Taststinn verlassen um auch wirklich alles heraus zu bekommen." Wie wahr. 

Währenddessen lief Nickelbacks "How Your Remind Me" und ich dachte, man könne schon glauben, da singt KC. Wenn man zum Beispiel von Schmerz benebelt nur halb zuhört. Aber das Lied ist gut. 

Jetzt blutet mein Zahnfleisch nicht mehr. Das ist erleichternd. Ich fühle mich von einer Last befreit, die ich schon fast gar nicht mehr bemerkte, die ich als unumgängliches Schicksal akzeptiert habe. Und als ich später im Bett lag, dachte ich: Entzündetes Zahnfleisch ist wie zu ein zu hoher Mietepreis. Man nimmt es hin, aber blutet jeden Tag. Ich sage euch, dass muss nicht sein. Eine Halbierung und Festsetzung aller Mietpreise wäre die Zahnreinigung der Mietpolitik!

Bleibt sauber!

TV aka †√

Kommentare

  1. Interessanter Artikel!
    Top-eBayer! Gern wieder!

    Nee mal im Ernst: Das mit den Spiegeln im Schaufenster und Autoscheiben kenne ich auch so. Haha, ganz schön dämlich eigentlich. Eitelkeit sollte jedenfalls nicht überhand nehmen.

    Wenn du deine Zahnzwischenräume regelmäßig mit Zahnseide von der dm-Eigenmarke (weiß nicht, ob es vielleicht auch mit der hohen E-Saite von der Gitarre ginge, wenn du mal wieder blank bist) reinigst, beugst du erneutem Zahnfleischbluten sehr gut vor.

    Und zur Mietpreisanalogie: Zahnseide ist wie Demonstrieren, Pätitionieren, wählen gehen und brennende Autos. Obwohl, letzteres ist vielleicht eher antibiotisches Mundwasser.
    Liebe Grüße

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Vincent, danke für deine Ausaführungen. Zahnseide, bzw Zahnsaite werde ich jetzt auch benutzen. Ich fürchtete sie bisher, weil ich Angst hatte, ich schneide mir damit ins Fleisch.

    Du sagst also, Zahnseide sei wie Demonstrieren. Was ist dann aber die Zahnreinigung? Ist sie ein wirklich wirksames Gesetz oder ein Beschluss oder die Bereinigung der Gesellschaft von allen Vermietern?

    Mit freundlichen Grüßen TV

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...