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Irgendwo dazwischen/Cold As Rock

Vorm Fenster zieht gerade einen riesiger Schwarm Zugvögel in mehreren V-Formationen durch den blauen Himmel. Der Horizont ist wie eh und je eine Front aus Häusern. Am letzten Wochenende habe ich nicht nur mit Mikael Erikssons Späti-Orchester gespielt sondern mir auch noch ein paar Gedanken zu den alten und jungen Menschen und ihrem Verhältnis zu mir gemacht. 

Bevor ich dazu ein paar Ausführungen tätige sei gesagt, das meine letztwöchige Haagen-Dazs Erfahrung am nächsten Tag noch weiter ging, bzw. ich froh war da noch ein wenig Zucker-Eis löffeln zu können. Denn am Abend davor sprach ich erst auf einer Bühne davon ein Aderngeflecht zu sein, dass durchs kalte Universum reist um dann später am Abend ein ebensolches zu werden. Nachdem ich einem Musiker einen Rat gab und er mir dafür half, die Raum-Zeit zu krümmen. In Folge dessen war ich für eine kurze Weile wieder Kind, lag auf dem Operationstisch und eine Anästhesitin jagte das Schlafmittel über eine Flexüle in meine Vene. Dann ein wenig getaumelt im Aufwachraum, Fragen nach der Reggae-Playlist und letztlich sanfter Bierschaum aus meinem Mund hinaus in einen zugemauerten Kellergang und darüber zurück ins Jetzt. Dann gut geschlafen. Und weitergemacht, bzw. Eis gelöffelt. 

Im Verlauf der Woche dann die Erkenntnis das Emotionen in Gesprächen wichtig sind, auch wenn ich mich fürchte dadurch die Bänder zwischen mir und dem Gegenüber zu fest zu knüpfen, so dass die Arbeit drunter leidet. 

Aber ich wollte von Jungen  und Alten sprechen. Das in der Jugendsprache verwendete "Alter", wurde ja seit geraumer Zeit auch dank 187/EinSackZwiebeln durch "Digga" ersetzt. Was wiederum, so meine Vermutung auch so üppig eingesetzt wird, weil es dem ursprünglich oft benutzten, aber heiklen Wort "Nigga" ähnelt und weiße Kids jetzt auch so ein Wort haben. Das ist aber eine These, die ich durch Feldstudien bestätigen müsste. Sollte unter den Lesern ein Linguist sein, möge er bitte die Kommentarspalte nutzen und sich dazu äußern. Alle anderen können auch gern ihre Meinung zu meiner These abgeben. 

Weiter schweifend durch die Straßen schleichend, überfiel mich dann die Erkenntnis, dass "Alter" nicht nur dich "Digger" ersetzt wurden, sondern auch durch "Junge" zumindest auf der östlichen Seite der BRD-GmbH. Demzufolge wäre der nächste Schritt, dass "Digga" ein "Dünna" entgegengesetzt wird. Aber Sprache entzieht sich gern der Logik. Und so stand ich dann irgendwann in einem Raum mit vielen anderen Menschen, während eine DJane und ein DJ Musik auflegten. 

Es war keine Rap-Musik, sondern exzentrische Geräusche und abstrakte Gesänge in sehr hoher Lautstärke. Die umstehenden Menschen waren jung und jung geblieben und machten den Eindruck immer auf dem neuesten Stand zu sein. Optisch zwischen ungewöhnlich bis abgefuckt gekleidet, so als ob sie sich gar nicht darum kümmern würden. Ich gehe nicht weiter auf Einzelheiten ein, da ich davon ausgehe, dass meine Leser wissen, was damit gemeint ist. Coolnes durch Idontcare. Während ich mich zurückzog da ich die Musik als sehr enervierend empand, konnte ich beobachten, wie diese Menschen Konversation führten und sich nicht an der Musik störten. Haben sie diese überhaupt mitbekommen? Haben sie sich für diese interessiert? 

Am nächsten Tag hatte ich das Glück einen der beiden Auflegenden beim Nusspli-Brötchen fragen zu können, welche Intention hinter dieser Noise-Auflegerei steckt. Erst wollte ich ihn gar nicht fragen, weil ich fürchtete, mit meiner Fragerei mich selbst zu offenbaren, in allem einen Sinn zu sehen. Doch ich überwand meine Furcht und frug ihn: "Was sollte das gestern eigentlich?" und "Findet ihr das gut?" Er erwiederte, dass die Intention seiner Partnerin und ihm darin lag, zu provozieren bzw. Herauszufordern. Und ich dachte, ich hätte gestern direkt zum DJ-Pult gehen sollen und danach fragen. Ich erzählte ihm noch von meiner Beobachtung der Leute, die sich scheinbar gar nicht provoziert fühlten. Am Ende haben sie bestimmt noch applaudiert. 

Ich denke, es ist ein sehr gute Intention wenn man mit Musik herausfordern möchte und das DJ-Set fand auch im Rahmen eines Experimemtal-Festivals statt. Trotzdem glaube ich, hier wurde eine Coolness zementiert, die ich nicht verstehe. Und ich glaube, ich bin entweder zu alt oder zu weich oder zu aufmerksam. Vielleicht auch zu nüchtern oder ständig nach Sinn suchend. Vielleicht aber, bin ICH auch einfach der Desinteressierte. 

Letztens auf Instagram hatte ich dann auch noch so eine Jung/Alt-Erfahrung: Mir wurde ein Plug-In für Musikprogramme vorgeschlagen, das den Effekt von alten VHS-Aufnahmen nachahmt. Genauer das Verzerren und Leiern des Tons. Ich habe dann, weil ich mich herausgefordert fühlte mal auf "Mehr darüber erfahren" gedrückt und mir das angehört. Und ich dachte, ja ganz interessant um eine Oberfläche herzustellen, die gelebt klingt. Ganz und gar passend um der Ästhetik unserer Zeit zu entsprechen. Die abgelebte Ästehtik suggeriert Wertigkeit. So kann man Klängen und Kompositionen denen es an Wertigkeit mangelt jene sofort verleihen. Aber wieso eigentlich? Die Wertigkeit oder das Leben in den Dingen entsteht doch erst mit dem Vergehen von Zeit. Dafür scheint aber keine Zeit zu sein. Ich verweise hier nochmal auf ein Gespräch das ich mit F. für Standort-West führte. 

Und bevor ich jetzt weiter brabbel, sei euch gesagt, dass Mary Broadcast am 15.11. im Besser Leben ihre famosen Songs spielt. Ich darf davor ein paar meiner Kompositionen zur Abenderöffnung zum Besten geben und werde dies nur mit einer Akustik-Gitarre tun. Der Raum ist klein, das sollte fein werden. Zieht euch ihr Video rein:



Und vergesst nicht, hier im Blog ein paar Kommentare dazulassen. Denn ich fordere euch heraus.

Mit bläulichen Grüßen

Timm

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