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Pralle Paralle

Wenn ich übernächtigt bin, tendiert mein Hirn dazu Vergleiche zu ziehen und findet, um sich Befriedigung zu verschaffen genau diese Gleichheiten in verschiedensten Dingen. Mein Gehirn scheint Lust auf Entropie zu haben und versucht aus dem gesehenen ein großes ganzes zu bilden. Ein weiteres Beispiel dafür sind die in meinem Schlaf häufig auftretenden Weltformel-Gedanken oder Bilder. Ich liege dann halbwach da und erkenne aus Form und Anordnung der Flecken an meiner Zimmerdecke oder den Linien an denen die Wände aufeinander treffen den Sinn der Welt. 

Einmal glaubte ich auch zu wissen, das Schmerz nur eine kaputte Zugbrücke über einen schlammigen Fluss ist und ich deshalb Schmerz spüre, weil eben jene Brücke die Verbindung zwischen mir und der Gefühlswelt nicht herstellen kann. Das erscheint dann im Moment der Erkenntnis völlig schlüssig, wenn ich dann aber wirklich erwache, fehlen mir elementare Bausteine der Theorie, so dass ich verärgert oder mindestens verwirrt und ohne Erkenntnisgewinn zurück bleibe. Und aus diesem Ärgernis heraus entwickelte ich die Theorie, dass diese Welt-Formeln, manchmal sind es auch Melodien oder sonst etwas, lediglich Impulse sind, die das Gehirn sich selbst erzeugt, damit es eine Befriedigung erfährt. 

Denn häufig gehen diesen Formel-Träumen Tage des Grübelns oder Problemwälzens voraus, an denen ich mein Hirn plage und wir auf keinen grünen Zweig kommen. Und weil mein Hirn dann angepisst ist, versucht es sich selbst doch noch eine Freude zu machen, in dem es wenigstens das Gefühl erzeugt, dass es vom eher selten eintretenden Moment der Problem-Lösung kennt. Schlussendlich also: Das Gehirn bastelt sich keine Lösung zusammen, sondern lediglich das Gefühl, eine Lösung gefunden zu haben. Womit ich mir dann erkläre, warum ich die Welt-Formeln nie zusammengereimt kriege, wenn ich aufwache. Es gibt sie einfach nicht. Im Moment fühle ich mich jedoch nicht übernächtigt, sondern habe diesen Film hier geschaut:


Das Sujet ist klassisch: Mensch mit Problemen wird von Dämon heimgesucht, gepeinigt und mit den eigenen Ängsten konfrontiert, Kind ist dabei. Es folgt Ignoranz der Zeichen des Unglücks, Kampf und schliesslich Flucht. Das besondere: die Handlung ist im Irak/Irankrieg der 80er angesiedelt und die Hauptfigur eine Frau und Mutter einer Tochter, der Aufgrund von Teilnahme an den Demonstrationen gegen das Mullah-Regime die Fortsetzung des Medizin-Studiums verweigert wird. Da schwingen natürlich noch andere psychologische Sachen mit...der Krieg rückt näher an Teheran heran und eines Tages fällt eine Bombe in das Haus, in der die Familie wohnt (der Vater ist nicht da, wegen Militärdienst). 

Die Bombe allerdings explodiert nicht, sondern bleibt im Dach stecken. Sie wird dann auch schnell geborgen. Was jedoch bleibt ist ein Dschinn, die arabische Form des Dämons. Dieser treibt dann allerlei Schabernack mit der Hauptfigur und ihrer Tochter und ich habe mehrmals laut ausgerufen, warum sie den nicht einfach flüchten, während die Bedrohungen des Dschinn immer schlimmer werden. Aber wer sich den Film anschaut, wird verstehen warum. 

Ich konnte mich nicht erwehren, dem Gedanken nachzugehen, Parallelen zu erkennen, zwischen Krieg und Dämon und der Tendenz des Menschen schreckliche Dinge zu verklären und einer höheren Macht die Verantwortung für sie zu geben, um damit irgendwie klar zu kommen. Ich dachte dann auch sofort daran, was zur Zeit real ist. Während ich zum Beispiel Sonnenbrillen shoppe oder einen alten Deluxe Memory Man bei Jürgen Klein famos fit machen lasse, Crazy S Fussball spielt, UFO361 einen Song droppt (dazu gleich mehr) und wiederum ich meine Gedanken dazu hier nieder schreibe, sitzen in Syrien Kinder in Kellern von Schulen auf die betonbrechende Bomben geworfen werden, die erst das Dach der Schule, dann jedes Stockwerk durchbohren, bevor sie zwischen den Kindern explodieren. Das passiert wirklich. 

Und daran erinnerte ich mich, als in dem Film die Bombe im obersten Geschoss stecken blieb. Mir ist unwohl bei dem Gedanken, vor allem, weil ich nichts tue. Ich schreibe nicht:  nichts dagegen tun kann. Nein, ich tue nichts und bilde ein gutes Beispiel für das Abgeben der Verantwortung an eine höhere Macht, auf Grund von Paralyse. 

In meinem Fall ist die Macht nicht ein Gott oder Dämon, sondern die Intellektualisierung, die Gedankenspinnerei, die asoziale Assoziation, das Schreiben dieses Textes hier. Das Wort als Gott. Immer noch besser als Kevin als Gott. Oder? 

Und als ich vorhin ein Katzenvideo sah, in dem einer Katze eine Existenzkrise untergejubelt wurde, weil sie beim Putzen mit weit aufgerissenen Augen innehielt und sich fragte, was sie hier eigentlich tue und vom einen ins andere grübelte, dachte ich: diese Krise ist bei mir Dauerzustand und deshalb gar nicht mehr als Krise wahrgenommen...aber weniger zu mir, als noch ein paar Worte über Musik verloren:

UFO361 schwirrt im Deutschrapkreis herum, sicher ist er dort sehr sehr bekannt inzwischen und mir gefällt die Ästhetik seines neuen Albums. Rote Schriften, tolle Bilder auf schwarzem Grund, der feucht aussieht. In seinem Song Power: 


Wird auch wie üblich recht üppig mit Posen der Gewalt hantiert. Das ist okay, macht ein bisschen Angst und Lust darauf, auch so zu sein, nicht in echt, aber ein bisschen, wenn man das Lied hört. Und das Lied ist echt gut. Ich gehe jetzt sogar soweit zu sagen, dass die Form der Musik, der Darbietung dessen sehr exakt dem Zeitgeist entspricht. 

Und zwar so: 

Wir, also wir westlichen Menschen werden täglich mit der Gewalt und dem Unglück der Welt konfrontiert und sehen uns dem (vermeintlich) hilflos ausgesetzt. Eine wie auch immer geartete Obrigkeit, löst diese Unglücke (Kriege) aus und wir können nichts machen (Da kammer nüscht machn). Wir nehmen diese Aggressionen aber in uns auf und düsterer Rap hilft uns dabei, diese Aggressionen zu kanalisieren und zu verarbeiten ohne dass jemand schaden nimmt. Denn genauso wenig wie Musik Politik ist, kann Musik töten. Was jedoch der Clou ist, ist die ebenfalls der Darbietung innewohnende Erschöpfung und Verschwommenheit, die jeder kennt, der sich mit Problemen der Welt beschäftigt. Man sieht es, macht sich Gedanken darüber und kann nichts machen, weiß nicht wohin mit sich und wird müde.

UFO361 hat Power, es aber gleichzeitig nicht nötig, diese durch zum Beispiel kraftvolles Singen darzubieten, nein, im Gegenteil: er spricht dem gebeutelten Denker aus der Seele, wenn er mit lasziver Stimme von Power spricht und den Dingen die er tut oder nicht tun muss dank jener. Verstärkt wird dies durch die Anwendung von Auto-Tune in der Stimme, so dass diese gurgelt und wie durch einen Schleier oder besser einen Vorhang aus Sirup zu uns gelangt. 

Der Witz: Auto-Tune sorgt dafür, dass die Stimme in einem Rahmen bleibt, korrigiert sie so, dass sie nicht schief klingt. Das gibt dem Performer die Freiheit, den Rahmen zu verlassen ohne schief zu klingen. Diesen Effekt benutzen gerade immer noch alle. 

Aus dem Rahmen fallen ohne den Rahmen zu verlassen sei das Gebot der Stunde. Bis die Bomben fallen und in den Dächern stecken bleiben und die Dämonen die Schuld an allem bekommen. 

Selbst daran, dass die Bomben nicht zünden.

Implodierende Grüße, T.

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