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Von den Nächten die zu Tagen werden

Ich bin fasziniert und angewidert zu gleich. In den letzten Wochen bekam ich die Möglichkeit, im Internet die Serie "Sopranos" zu geniessen. Und versank darin, fand mich diesmal zu Abwechslung nicht direkt in einer Hauptfigur wieder, sondern gefiel mir darin, einige Verhaltensweisen anzueignen und dies im Verlauf der nächsten wärmenden Wochen zu intensivieren. 

In erster Linie: auf einem Klappstuhl an der Straßenecke sitzen und dem Betrieb der glücklichen Menschen nachzuschauen. Etwas neidisch, aber aus der Klappstuhlperspektive zumindest in Teilen Dandy-istisch. Habe ich mit Glossy S letztens schon mal testweise probiert, aber da es zu regnen begann, hielten wir es nur für eine halbens Bier und eine Tasse Kamillentee aus und verzogen uns dann wieder. 

Verziehen und verzeihen, doch vorrangig verziehen, das war meine Tätigkeit in den letzten Wochen, um den Stoffen des Rausches zu entsagen. Und es klappte ganz gut, bis auf ein, nein zwei Aussetzer. Und ich stellte erneut fest: Es geht entweder ganz oder gar nicht, das mit den Mitteln. Und ich würde mich gern für das gar nicht entscheiden. 

Man kann mir jetzt erneut Schwäche vorwerfen oder Jammerhaftigkeit. Sollen diese "Mans" machen. Ich stelle nur immer und immer wieder fest, das die Nächte, die zu Tagen werden, erfüllt sind von Freude und Spaß, der mir gefälscht erscheint. Eine Reise ins Innere, nach außen getragen. Durch eine Landschaft, auf einer sauberen violetten Straße, an deren Rändern Nebel stehen und die Schilder vollgeschrieben sind, nicht mit Namen von Orten, sondern mit Witzen und Lüsten. Und Erlösung bleibt immer mindestens 100 Kilometer entfernt. 

Diese 100 Kilometer kenne ich sehr gut von meinem Fahrten von und nach Hamburg. Sie ziehen sich ewig. Und im Bild der Nächte die zu Tagen werden, bin ich selbst das Auto und der Fahrer und halte an den Tankstellen, um zu trinken. 

Kurzer Einschub: vor vielen Jahren hielt ich es mal für witzig eine Kneipe zu eröffnen, die in einer ehemaligen Tanke ist und die Zapfanlagen befinden sich in den Benzinzapfanlagen. Das heisst doch so, oder? Und dann kommen die Leute zu mir und sagen: "Einmal volltanken, bitte." Naja, inzwischen finde ich das nicht mehr so witzig. 

Und kehre zurück zur Verziehung: Dank der Serie Sopranos tat ich mich gütlich daran, die Orte zu meiden, an denen es darum geht, Erfüllung zu finden, nein, Befüllung. Und es ging mir nicht gut, aber ich konnte reinen Gewissens feststellen, das ich Stimmungstiefs und Leeren unterliege, die ich in mir trage und die nicht unbedingt substanzinduziert sind. Die Umtrünke dienen doch und ich weiß, dass ist jetzt nichts neues, der Verdrängung tiefer sitzender Probleme. 

Und sie schaffen neue Probleme, schlechte Gewissen und schmerzende Kehle. Letztlich glaube ich, das es nicht so schwer sein muss, den eigenen Wünschen zu folgen, den eigenen Aufgaben. In meinem Fall Lieder schreiben und Singen. Aber ich beende das Gerede darüber an dieser Stelle und schliesse mit der Aussage, dass ich mich weinend auf einer Bettkante wiederfand - weinend aus Erlösung und Wut auf mich selbst zu gleich.

Und ich war angewidert und verwirrt, die letzte Möglichkeit irgendetwas zu fühlen, nach lähmenden leeren Stunden. Als letzte und niederste, tief im Hypotalamus sitzende Möglichkeit etwas zu fühlen. 

Eingangs erwähnte Anwiderung bezog sich nicht auf mich, aber wie so oft versuche ich eine Paralele zu ziehen, wo vielleicht gar keine gezogen werden kann. Da oben meinte ich die extrem brutale aber triggernde Werbung auf Seiten, die Serien zur Verfügung stellen, für computersimulierte Sexspiele, die Männern das Gefühl geben sollen mächtig zu sein. Und ich frage mich,  wer klickt da drauf? Wer empfindet dabei was? 

Auf der anderen Seite, auf der realen Seite, sitzen eben auch viele in Bars und vergiften sich und finden das gut. Ist nicht dasselbe, ich weiß. Aber ich ziehe immer noch in Schwarz und Weiß durchs Leben und versuche mich an einfachen Lösungen für schwere Probleme oder solche, die gar keine sind. Niemand anderem ist die Schuld daran zu geben, außer mir selbst. 

Und das hier ist der letzte Blogeintrag meiner Zwanziger Jahre. Das nächste Jahrzehnt verbinde ich mich Machtergreifung. Und greife nach der Nacht und warte auf den Tag.

Kein Frieden, immer noch.

TV.

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