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Respect Everyvonne

Ich bin gestraft mit der Bürde der rauen Hand. Schon seit immer. Gehäuftes Eintunken in Spülwasser macht es weder schlimmer - noch besser. Zwischendurch verdächtigte ich meine Tätigkeit als Rennruderer, aber das führte nur zu Hornhautballen. 

Gitarrespielen? Kann's auch nicht sein, da werden bloss die Fingerkuppen Hieb- und Stichwaffenresistent. Es sei denn, der Fingerinhaber badet zu lang, dann kann es passieren, dass sich die Verhornung löst und sich Saiten gleich Schienen in die Haut schneiden. Vor allem, wenn der Inhaber lange und ausgiebig eine Griff greift, um einen repititven Song zu spielen oder einfach nur einen Song üben muss. 

Allerdings gab mir Mellow Mel den Tipp, Kaffeesatz mit Öl als Peeling zu benutzen. Der Hintergrund war ein leicht anderer, aber ich bemerkte, dass meine Hände, da wo sonst Rauheit herrscht, die Aura einer leichte Zartheit verströmen liessen. Vielleicht werde ich auch einfach nur immer weicher - durch Kuchen und eine Liberalität, die sich in meine Knochen schleicht - oder sich aus diesen herausgelöst durch meine Blutbahnen auf meine Seele legen. 

Diese wiederum, soll, so wurde es mir einst gesagt, sei wiederum sehr tief verankert, was aus den tiefen/roten Linien auf meinen Handinnenflächen zu erkennen sei. Handlesen, ihr wisst schon. Und sicherlich auch eine sehr charmante Art, jemandem, der Angst vor der Rauheit seiner Hände hat, diese zu nehmen. 

Da reibe ich doch meine Hände gleich mal aneinander und lasse das Schmirgelgeräusch erklingen. Ja! Und weil ich auch Gedanklich noch ein bisschen schmirgeln will, erzähle ich euch von einer Theorie, die mir in den Sinn kam:

Der ehrwürdige Ansatz in einem gastronomischen Etablissement mit Alkoholausschank Kultur anzubieten, könnte sich als einer der größten Denkfehler in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie  im aufklärerischen Geiste herausstellen. Denn, wenn wir davon ausgehen, dass Kultur dem Menschen dienen soll, seinen Geist zu erheitern UND zu erweitern, wird diesem Lern- bzw. Aufklärungsprozess direkt entgegengewirkt, in dem Alkohol und anderes zur selben Zeit konsumiert wird. Das was an Erhellung durch Musik, Text Tanz und visuelle Reize einzutreten vermag, wird direkt mit Verdunklung bzw. Vernebelung durch toxische Gifte, die ausgegeben werden, wieder nivelliert oder auch ausgeglichen. Im schlimmsten, aber bei weitem nicht seltenen Fall, verlässt der Besucher die Kulturstätte sogar mit einem Defizit an Erhellung. 

Nun schreibe ich dies aus der Sicht eines Gastes, eines Spinners und Tasters und man möge mir entgegenrufen: "Halte ein, mit deinen Spinnereien, denn ein jeder ist seines eigenen Rausches Schmied und in der Lage zu entscheiden, ob er sich Imanuels Kante geben möchte und auch in welcher Masse, so dass er immer noch vermögend ist, die ihm dargebotene Kultur in sich aufzunehmen. Oder eben nicht." 

Ja, würde ich antworten, wir sind frei. Frei zu entscheiden, wen und was wir wollen. So sagen wir es, so reden wir es uns ein. So rede ich mir ein, was ich ändern muss und möchte, schon eine gewisse Zeit und dann höre ich eine bitter-süsse Stimme flüstern: Rede nicht so viel, mach es einfach. Oder gesteh dir ein, dass es niemals anders sein wird mit dir und deinen "Problemen", die dich grübeln lassen und bremsen und das Jetzt vergessen lassen. 

Dann denke ich, da ist was dran und denke und denke und verschenke Tage und Monate an die Strudelbewegungen in meinem Gehirn.

Aber: die Zeit des Jammerns ist vorbei. Ich bin ja n paar Tage allein gewesen und war erkenntnismotiviert zurückgekehrt (nicht gerade banal: ich weiß endlich, dass ich mit zwei rauen Fingern auf dem Trackpad meines Rechners scrollen kann) und dann auf der Treppe der feinen Gesellschaft nach unten gefallen, auf die Nase und den Mund. 

Ich nahm es hin, liess mich fragen, ob ich mir die Lippen gebotoxt habe und sagte: Ja, das habe ich. Respektiert das. Und ging weiter. 

Respektiert euch, aber verliert nicht die Diskussion. Unser "favourite game". Eine unserer besten Errungenschaften dank der Sprache. Möge aus dem Widerspruch die Schönheit entstehen.

Amen - Oh, Män!

Für die Liga der Entblössten:

Pretty Young Timm.


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