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2054 oder mein Jahr im Bauch des Wels

Ich möchte euch von einem Fisch und meiner Zukunft berichten.
Dem ganzen haftet etwas absurdes an. So denn also, lasst eure Augen schweifen über meine Worte:

Ich lag gerade in süßem Schlummer in meinem Eisschokoladen Pool im Garten meines Anwesens, als einer meiner Diener einen Brief auf einem Silbertablett an mich heran trug. Widerwillig hob ich meinen Lider und las den Absender. Die deutsche Rentenversicherung. Mit kalten Fingern nestelte ich am Umschlag, holte das Recyclingpapier heraus und las, dass mir ab dem 1. Mai 2054 eine Rente zu steht. Diese Rente wird mir monatlich ausgezahlt werden. 

Die Höhe des Betrags ist: 32,15 Euro. Nicht Lire! Euro. Zwei Zeilen darunter konnte ich lesen, dass mir der Betrag von 356,00 Euro monatlich zustehen würde, wenn ich heute, erwerbsunfähig werde. Wenn ich also im Pool einschlafe und mehrere Minuten im Eisschokoladenkoma liege. Oder wenn mir eine meiner 17 Hauskatzen die Finger abbeist. 

Mir schien die Überlegung kurzzeitig verlockend, mich jetzt bewerbsunfähig zu machen, mit einer der beiden genannten Methoden oder etwas anderem, da ich so ohne viel Zutun und zu tun, mehr Geld von Daddy Germany bekommen würde, als wenn ich noch 44 Jahre "'arbeite'".

Ich lies es dann aber sein und schwamm eine weitere Runde durch den Pool.
Dann wachte ich auf und fand mich wieder in meiner Behausung.
Es war nur...EIN TRAUM (Hall und Echo auf der Tonspur und die Kamera fährt ruckartig vom Close-Up des Gesichts in die Totale)

Das mit der Rente stimmt aber wirklich. Und ich finde es merkwürdig, welche Angebote mir das Rentensystem macht: für 10 Finger bekomme ich mehr Geld bis an mein Lebensende als 44 Jahre weiter als Musiker zu arbeiten. Ist die Lebenserwartung eines fingerlosen Menschen eigentlich niedriger oder höher als bei einem mit allen Fingern? 

Da fällt mir gerade ein, dass ich mal von einer Frau las, die nur 4 Finger an jeder Hand hatte und im Knast war. Sie behauptete Außerirdische hätten ihr diese Hände geschenkt und sie konnte mit diesen Finger so schnell tippen, dass sich damals die Schreibmaschinenhämmer verhakten, bzw. der Tastaturzähler nicht mehr hinterher kam. Warum sie im Gefängnis saß, weiß ich leider nicht mehr.

Dann las ich letztens vom Wels, gefangen von zwei Männern, der eine skelletierte Menschenhand im Leib trug. Die Faszination für Welse rührt aus meiner Kindheit. Ich hatte eine sehr schön illustriertes Tierbuch aus DDR Beständen in dem auch die Bewohner eines Sees, sowie es ihn hier in der Mitteldeutschen Sumpfebene häufig gibt, beschrieben bzw. dargestellt wurden. An der Oberfläche gab es Enten, einen Reiher, Frösche. 

Unter der Wasseroberfläche Algen, diese runden Wasserkäfer, die ganz schnell durch die Gegend rasen und eben den Wels. Der schwang sich gebogen am Grund entlang und in seinem Blick war etwas trauriges. Seine Erscheinung wirkte gar nicht fischig kalt, sondern eher bärenhaft. Teddybärhaft? Vielleicht.

Von da an dachte ich öfter an die Welse, wenn ich am Saalefluss stand. Oder an dem Baggersee bei meiner Oma, wo es eine ganz tiefe Stelle gab, weil da mal eine Bombe eingeschlagen ist. Ganz da unten am Grund lebten die Welse. Und leben immer noch, denn, so las ich, sie können 100 Jahre alt werden. Wenn aber ein Mann sich seine Manneskraft beweisen muss und den Kampf mit dem Wels antritt, bevorzugt bei Neumond und diesem Kampf gewinnt, ist dies der sichere Tod des Wels-Fisches. 

Denn, so fand ich heraus: die Fischereibehörde verpflichtet den Angler dazu, den Fisch zu töten. Denn der mehrstündige Kampf und die Gefangenschaft seien für das Tier ein Schock, der so tiefgreifend ist, dass die Behörde Gnade fordert und den Tod. Damit der Fisch diesen Schock nicht noch einmal erlebt.

Was ist das für eine Logik? Das Tier muss sterben, damit es nicht noch einmal gefangen wird.
Erlösung zum Selbstzweck. Gottesgnade der Angler. Absurd...

Ich werde beim nächsten Neumond nackt in einen Tümpel steigen mit einem Wurmköder locken und mir wie geplant meine Hand von einem Wels abbeissen lassen. Mindestens die Hand.

Und kann endlich Renter sein, in einem Pool voll Eisschokolade.

TV.
 

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