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Haut ab

Die Tage und Wochen verschwimmen - ist nicht schlimm - mit Rettungsweste - zeitgebremst. 

Es war letzten Mittwoch, ich stand in einem friedlichen Mob und fragte mich mal wieder, was ich hier mache? Nun - ich bin Musiker, Texter und für die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Menschen und Tiere in ganzer Gänze. Deshalb teile ich Transparent- und Laserpointerbewaffneten Hoschies, die eben jene Freiheit mit Hilfe ihrer Waffen und Waffelgeeisten Hirngespinste einschränken wollen, mit, dass sie zwar ihr Recht auf Demonstration haben, aber ich genau so gut, meine gegensätzliche Meinung kundtun kann.  Das ist der eine Grund. Der zweite ist reine Neugier, die Reihenfolge kann auch anders herum sein. 

Ich bin jemand, der nicht gern Parolen mitbrüllt, jegliche Art von Parolen, deshalb habe ich dann wohl auch wild mit den Armen fuchtelnd Affenlaute (UhUhUH) von mir gegeben, als sie vorbeizogen und mir dadurch die Stimme verbeult. Ziemlich dumm, nicht wahr? Aber so bin ich. Das ewige Auge, den Mob betrachtend. 

Ich kann mir ja so vieles nicht vorstellen. Deshalb muss ich's wohl erst echt sehen. Und Gruppendynamik schürt Hass. Der machte sich in Rufen wie "Haut ab!" Luft. Natürlich, NATÜRLICH, dachte ich an trockene abgestorbene Hautstückchen die dem Neurodermitsgeplagten von Gesicht und Wade fallen, wenn es juckt und kratzt. Noch drastischer wurde mir die Um(be)deutung des Ausspruchs bewusst als ich mir "Martyrs" ansah.
Baby J meinte, der Film sei auf keinen Fall dazu geeignet gesehen zu werden. Die Warnung hat vorerst auch funktioniert, dann aber doch nur dazu geführt, dass ich mir den Streifen reinzog. Teilweise kopfschüttlend, am Ende aber doch sehr verzaubert. 

Denn: es geht um die künstliche Erschaffung von Märtyrern, also Personen, die unheimliche Qualen durchleiden und überleben und in einen transzendenten Zustand geraten, durch den sie dem Interessierten Einblick ins Jenseits gewähren können. Das ganze ist sehr anschaulich aber vor allem durch extrem viele Handlungsbrüche (der Chaos-Regiert-Fuchs lässt grüssen) anregend gestaltet. 

Klar, dass die Märtyrer allesamt junge Frauen/Mädchen sind, die leichtbekleidet durchs Bild kriechen und schreien. Das ist ein wenig dröge und einer der wenigen Kritikpunkte. Denn, wenn der neue französische Horreur-Film schon so gekonnt neue Grenzen sprengt,  hätten er das Gender-Ding gleich mitreissen können. Aber noch kann ich wohl nicht alles haben. Noch. 

Geflasht wurde ich auf andere Art von Alte Sau, der neuen Band mit Jens Rachut:
 
Erkenntnis: Arche Jens bombt weiterhin mit seiner Indivdualitätspower alles weg, was sich Neu-Wave nennt doch vielleicht nur Schwiegerrock ist und sich versucht am Schnee zu verletzen oder blutig zu küssen! Und das geht auch im Stranglers/Suicide-Orgel+Drumgewand, inkl. Chorgesang. Geht auf eins der Konzerte! 

Im Vorprogramm gabs Hansen&Windisch. Der Sänger trug ne Maske aus Kabelbindern, die richtig toll aussah. Und er sang von Fenstern und Gicht und ich interpretierte einen Song als Kante gegen Peggy, also die Bewegung, nicht das Oma Hans Album, von denen knalle ich hier einfach nochmal "In der Ukraine hin":
Yeah Jer Jär! 
 
Machen Horrofilme das Grauen der Vergangenheit verständlicher, erträglicher oder rücken sie es nur weiter in die Fiktion ab? Ja, solche Fragen stelle ich mir. Ihr hoffentlich auch. Solltet ihr mal machen. Und Leute, die meinen, es wäre an der Zeit, zu vergessen, was geschehen ist, vor 70 Jahren und mehr, denen sage ich: Nein. Oder glauben die, die Theorie von der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit funktioniert auch umgekehrt? Ich glaube, das wäre Stoff für erweiterte Diskussionen.

Ich freue mich auf die Konzerte mit Findus und Genepool im Ruhrpott im Februar. Und für alle die sich wundern oder fragen: Ja, ich schreibe an Songs fürs neue Album.  Still Ill. 

Zeit ist relativ, Loide. Auch für mich. 

Also: Springt nicht über den Hai und bleibt auf der richtigen Side (of Life).

Euer Timm Völker.

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