Direkt zum Hauptbereich

Spinnenkante/Mein Wollsieb

Egal wie oft ich nachts aufwache, im Moment bevorzuge ich das Land des Schlafs gegenüber dem des Wachseins um ein vielfaches. Es ist um präziser zu sprechen, der Grenzbereich zwischen beide. So wachte ich vor einigen Nächten zwischen 3 und 4 durch einen mächtigen Donnerschlag auf, erschrak, fühlte dann aber umso mehr eine urtümliche Ruhe als ich dem heftigen Regen lauschte, der auf das Dach und das halb geöffnete Fenster schlug. Ein Rauschen, dass mich wieder zurück driften ließ in die Halbwelt der Träume und Körperlosigkeit. Gewitter: sie erschrecken, machen aber gleichzeitig gewahr, dass man sich in einer geschützten Behausung befindet, gesetzt dem Fall, man befindet sich in einer. 

Es ist also auch hier eine Mischung: Einerseits, die ursprüngliche Angst vor dem Donner, der für lange Zeit wohl das lauteste Geräusch war, dass der Mensch in seiner Umgebung hören konnte, weshalb diese Angst, wenn auch in den meisten Fällen rational unbegründet, doch in uns alle einprogrammiert ist. Andererseits wird mir in so einem Moment bewusst, dass ich mich unter einem stabilen Dach in einem Haus, das meist aus Stein gebaut ist befinde. Und so lerne ich das Alltägliche wieder schätzen. Denn nicht überall sind die Häuser aus Stein. Und dann ist da natürlich noch der Gedanke an das Ende, der sich meldet, wenn's donnert. 

Vor ein paar Wochen kam er beim Blick in den blauen Himmel, der früher mal etwas schönes war, aber für mich heute vor allem mit drohender Dürre und kannibalischen Folgen verbunden ist. Jetzt bei Starkregen erweitert sich das Bild des katastrophalen Endes. Kein Gedanke daran, dass dieser Regen ja ein Ausgleich sein könnte. Nein, diese Phänomene sind nur Vorboten noch extremerer meteorologischer Ereignisse. Und da wir nicht darauf vorbereitet sind, wird es ungemütlich. Nicht, und ich habe das schon angedeutet, weil es bald besonders nass oder trocken wird, nein, ganz einfach, weil die Menschen wenn's an die Existenz geht, aggressiv werden. Und dann gilt das Gesetz des Stärkeren. Und deshalb habe ich eine (Luft)Pistole und eine Schutzweste (ahah) beim Entrümpeln eines Kellers mitnehmen dürfen. Die Waffe habe ich einem Waffenfan geschenkt, aber die Weste habe ich behalten, mit dem ernsthaften Gedanken, dass man sowas schon mal gebrauchen kann, wenn's knallt. 

Das sind die Gedanken, die ich habe, wenn ich in die Sonne schaue und dem Regen lausche. Und stelle fest, in diesem Alter um die 30, glaubt man die Zusammenhänge in der Welt verstanden zu haben. Lang genug auf der Erde rumgekrochen, um genug Scheiße erlebt und gesehen zu haben, aber scheinbar noch mit genug Lebenskraft gesegnet, um sich nicht gleich zu verabschieden. Es handelt sich dabei natürlich um einen Irrglauben. 

Wobei, irgendwie ist es ja auch so, dass man in dem Alter irgendwo angekommen ist. Es GESCHAFFT haben sollte und wenn dem nicht so ist, man also das Gefühl hat, nicht da zu sein, wo man hin wollte, fängt die Unruhe an. Und man arrangiert sich oder rangiert irgendwelche Lasten hin und her, jongliert, laviert und philosophiert, versucht sich einzurichten. Und genau ich, der das jetzt hier mitteilt, weil er glaubt, zumindest das Prinzip verstanden zu haben, ich bin also das beste Beispiel für dieses "in den Dreißigern sein"

Und weil ich auch noch weiß, dass ich mich da irre, haue ich gleich noch einen Gedanken heraus, der entstand, als ich über das Dreißiger-Sein nachdachte: Es ist meiner Meinung nach gut möglich, dass diese scheinbaren Weisheiten und ja, auch die ersten Gedanken der Endlichkeit des Lebens und allem was dazu gehört in dieser Lebenszeit an die Oberfläche des Denkens gespült werden, weil noch vor ein paar Jahrhunderten die Menschen genau mit Anfang/Mitte dreißig verreckt sind. Und ebenso, wie die urtümliche Angst vor dem Donner noch da ist und keiner kann mir weiß machen, dass nicht zumindest ein kleines Zucken durchs Rückenmark geht, wenn der erste Donner eines Gewitters ertönt, genauso schwingt ob man es will oder nicht, der Tod mit, sobald bei der zweistelligen Alterszahl eine 3 vorne steht. 

Und so wandle ich, in dem Glauben etwas verstanden zu haben durch mein Gebiet und strenge mich an, dieses Verstehen möglichst schnell zu verwerfen und warte auf die einsetzende Demenz, die mir das Glück eines zufriedenen Lebens bringt. Wahrscheinlicher ist aber, dass ich in ein paar Jahren einfach aufgegessen sein werde. 

TV

Kommentare

  1. Bitte nicht einfach aufgegessen sein werden! Schöner Text, deep & true...
    "...nach 35 wachsen Zellen nicht mehr nach..." (Die Goldenen Zitronen- Das sag ich dir nicht)
    Als fortysomething hat man es "glücklicherweise" total voll viel leichter mit dem Donner, mit Allem- oder halt nicht ;)
    stay safe

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...