Am Bordstein drückt ein Monteur mit hastigen Bewegungen seine Filterzigarette aus. Durch die getönte Autoscheibe sehe ich, dass ihm der Zeigefinger der rechten Hand fehlt. Je weniger Finger, je schneller die Zigarettenausdrückbewegung, denke ich. Später gibt es guten Kuchen und okayen Wein, weil die Küche schon zu hat und ich verliere den Bezug zum Jetzt, wo Menschen über Sexroboter mit künstlicher Intelligenz reden und ich mit P Gitarre spiele. Ich bin woanders, in Gedanken, denke, wie so oft in letzter Zeit: "Wer bin ich?" oder aber: "Wer will ich sein?" - das hat der Mensch ja mehr oder minder in den Händen, so wird es überall gesagt, egal wie viele Finger noch dran sind.
Und dann sehe ich Dinge an denen ich beteiligt war und glaube manchmal, dass das nicht das richtige für mich ist, ich mich zu sehr verbiege, bis das Lachen in meinem Gesicht fest sitzt, wie ein verbogener Kleiderhaken, der zwar irgendwie zurück in die Urform gebogen werden kann, aber dann Wellen in sich trägt. Und ich schäme mich, weil ich, immer nur das dreifache ICHichIch, das Chichichi, in meinen Überlegungen vorkommt - das Ego. Aber dann sagt T, das sei normal und, wie der Kopf sich den Kuchen, nimmt der Körper, sich was er braucht, nimmt sich das Wasserglas oder manchmal will er nur einfach rocken. So wie wenn bei Folsom Prison alle auf den richtigen Zählzeiten sind und der Zug rollt und ich die Scham über den Ego-Gedanken vergesse, da eigentlich vorgehabt zu haben, alleine zu spielen. Dann ist für den Moment mal alles okay, weil eben im Moment.
Und Bier oder Wein, die helfen dem Moment und schenken schweren Kopf am nächsten Tag und jedesmal sagte ich: "Nun reicht es aber." Anfang der Woche kam der Kopfmoment schon im Schlaf und ich lag halb erwacht unter der Decke und spürte erst meine Füße und dann meine Beine riesig werden und das ziemlich real. Ich schloß die Augen und mit den Riesenfüßen am Laib sah ich zwei Hände vor mir, die mehrere Fotokopien in einen dunklen in seinen Ausmaßen nicht definierbaren Raum fallen ließen. Auf den A4-Blättern war immer die selbe Aufnahme einer Skulptur zu sehen, die im antiken oder neo-klassizistischem Stil eine Trauerszene zeigte, wie ich sie vom Cover des Albums "Closer" von "Joy Division" kenne - nur war es dort eine verstorbene Tochter und ein aristotelisch bärtiger Mann, der vor dem Stein kniete und um sie, die dort aufgebahrt lag, trauerte.
Zwei Nächte später trieb ich mich dann mit 3 anderen Leuten in einem leerstehenden Fabrikgebäude herum, wir schlichen durch die Büroabteilungen und begegneten einem älteren Mann, der meinte, auch nur so hier herumzulaufen. Auf uns wirkte er aber bedrohlich und ich spürte, dass er uns töten wollte. Wir versuchten also unauffällig die Etage zu verlassen, bogen aber, mir unverständlich, nicht ins Treppenhaus, von wo wir kamen ab sondern in eine andere Richtung. Nach kurzer Zeit standen wir am Rand eines Raumes, wo früher mal ein Geländer gewesen sein muss. Dahinter ging es tief nach unten in die Werkhalle und ich spürte die Höhe und die Angst im ganzen Körper. Links von uns waren Turbinen angebracht, die aussahen wie an der Querachse fixierte Tonnen.
Wir wussten, wir können hier nur raus, wenn wir über die kleinen Mauern balancieren, die zwischen den Turbinen entlang führen. Eine Person entschloss sich aber nach unten in die Halle zu springen und sang und klang dabei wie Paula Hartmann. Mit den anderen beiden kletterte ich hastig über die Mauern, bevor auch sie gleichzeitig abrutschten und mit verhallenden Schreien zwischen den Turbinen im bodenlosen Dunkel verschwanden. Das waren körperliche Nachterlebnisse.
Auch noch, wiederum zwei Nächte später, blickte ich in das Gesicht eines katholischen Priesters, der davon erzählte, wie jahrelang ein Mann in einem Cabrio vor dem katholischen Kinderheim hielt und sich regelmäßig eines oder mehrere der Kinder für sexuelle Handlungen gegen Geld aussuchen durfte. Als er dies sagte, sah ich, wie seine Augen und sein Mund zu vollständig schwarzen Flächen wurden und ich wusste, dass er der Satan persönlich ist.
Hier sei vielleicht anzumerken, dass ich als Kind keinen Kontakt zur Kirchen-Religion hatte. Auch keine Bibel und sonst etwas christliches Umgab mich in meiner Kindheit. Ich glaube sogar zu wissen, dass meine Eltern eine gewisse Skepsis gegenüber diesen Einrichtungen hatten. Ich werde dann mal beginnen im Neuen Testament zu lesen. Wegen den Stories und vielleicht auch, um zu wissen, woher diese Bilder kommen. Vielleicht ja doch von der Walpurgis-Bergerklimmung?
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