Das ist einer von den Sätzen, die mich erreichen, wenn ich nachts erwache. Liegt vielleicht daran, dass ich meinen Aktiv-Zucker-Konsum reduziert habe. Aber hey, zumindest im Moment keine Ängste im Schlafbereich - nur manchmal der kalte Hauch einer Ahnung, dass noch eine Person/eine Entität mehr im Raum sein müsste, dass eine fehlt, die doch eben noch da war. Das geht mir auch auf Tour häufig so. Im Auto sitzend, durch die Gegend gleitend, von einer Spielstätte zum nächsten Spielort denke ich, dass wir doch eben noch mehr Leute waren und dann bekomme ich Angst, durchzudrehen oder einen anderen Geisteszustand zu erreichen, den ich gar nicht haben will.
Sehr unangenehm bekannt ist mir dieses Phänomen seit einiger Zeit auch von Tagen nach Trinkerei. Der Körper fuselt dann herum und geht mit Übelkeit und Schwäche in einen Energiesparmodus. Das finde ich noch ganz in Ordnung, ist es doch eine konkreter Wunsch nach Rekreation, dem ich mich gern hingebe. Aber da ist dann auch noch diese Veränderung der Sinne. Ich nehme mich selbst und mein Handeln anders wahr, bin mir jeder Handlung bewusst. Das geht beim Arm heben los, nein, nicht den Rechten ausgestreckt nach vorn vom Körper weg, sondern den Linken zum Wasserglas neben dem Bett. Schlimm ist es aber bei anspruchsvolleren Tätigkeiten wie Kommunikation mit anderen. Da bemerke ich dann jedes einzelne Wort und jede Regung des Gegenübers und es fällt mir sehr schwer, Reaktionen und Worte aneinander zu setzen und Sinnzusammenhänge herzustellen. Wenn ich es jetzt schreibe, wird mir bewusst, dass es gar nicht die Komplexität des Vorgangs ist, die mir schwer fällt, sondern die Wahrnehmung der Sinnebene, also der einfachen Frage, warum ich genau das in diesem Moment gerade tue oder sage. Das kann soweit führen, dass ich die Wege der Existenz und die Macht über mein eigenes Handeln anzweifle und dann im Bett liege und Angst habe vor der Möglichkeit, dass ich das Fenster aufmachen und herausspringen könnte. Zu jeder Zeit ist Ende möglich.
Meistens ist diese Möglichkeit aber zum Glück vom Alltagsmodus und dem Willen zu Leben überdeckt. Und die mahnende Erinnerung an solche Rekreationshorrortage hilft mir auch ganz gut, die Finger vom Glas zuviel zu lassen. Stattdessen aktuell auch Raum für ein paar schöne Momente in Zweisamkeit:
Durch den Wald gleiten, sonnenlichtgefleckt und bis auf das Klappern meines Drahtesels nur Stille unter einem Blätterdachtunnel von Bäumen in einem gesund wirkenden Grünton, sogar noch gesund wenn ich die Sonnenbrille abnehme. Und ich sage dann, dass es hier so schön still ist und denke, dass ich die Stille mit diesem Satz verhöhne. Danach eine Portion gute Pommes teilen und am Ende noch ein kleiner Wettbewerb darum, wer es schafft mit angehaltenem Atem durch die gesamte Passage zu laufen, in normalem Tempo. Aus Spaß aber auch wegen vergessener Masken.
Mit dem Ende dieses Sommers erinnere mich wie fast jedes Jahr an meinen Schulfreund, der gegen Ende der Ferien bei mir vorbei kam und wir auf meinem Teppich mit Plastiksoldaten spielten. Ich hatte noch die hell-lasierten etwas moderneren Holzfenster mit dem hellgrauen Plastikgriff, die an der Längs- und Querseite jeweils einen Hebel aus Metall hatten, mit denen man bestimmen konnte, ob es angekippt oder aufgemacht wird. Wenn man beide aufmachte, fiel das Fenster raus.
Wir saßen also auf dem Teppich und ich bemerkte, dass mein Schulfreund anders roch, er roch nach Salami. Ich wusste, dass er öfter Salami auf dem Schulbrot hatte. Nicht die dünnen großen Scheiben, sondern kleine dicke, direkt von der Wurstrolle von Hand geschnittene, um die ich ihn manchmal beneidete. Aber dieser Geruch kam nicht vom Essen, er selbst strömte ihn aus. Und dann erzählte er mir, dass er am Tag davor gesehen hat, wie ein Baby am Ufer des Badesees ertrunken ist oder besser, wie es gefunden wurde. Denn Babys machen ja keine Geräusche wenn sie ertrinken und dann findet man sie meist erst, wenn es zu spät ist.
Er erzählte mir das relativ nüchtern (gescheiterte Wiederbelebung, usw.) und ich hörte wie immer bei solchen Berichten voll Schrecken und auch Neugier zu und hatte immer das Bild eines nach vorn über gekippten bleichen Puppenkörpers im leicht trüben flachen Seewasser im Kopf. Wir haben darüber nie wieder gesprochen, aber er hat seitdem immer nach Salami gerochen.
TV
Kommentare
Kommentar veröffentlichen