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Mit Laktoseinteloeranz und Diabetes/ Im Land von Milch und Honig

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Neuste nächtliche Portal-Panik-Fantasie: Ich mach vor dem Spiegel ein Foto von mir selbst mit dem Handy. Und zwar nicht mit der Linse in den Spiegel rein, sonder quasi den Spiegel als Selfie-Display nutzend. Die Linse zeigt zu mir, ich sehe das Bild/Display im Spiegel. Durch einen ungünstigen Winkel vervielfacht sich mein Bild ins unendliche und ich falle durch ein Dimensionstor in eine Welt, die aussieht wie Schwerin. Ich fühle mich 10 mal so schwer in Schwerin (muss die Schwerkraft sein) und die staubigen Straßen sind bevölkert von sogenannten Bebewesen. Das sind bräunliche Kugeln von ungefähr einem Meter Durchmesser, die entweder wild durch die Gegend springen und "Vincent" von Sarah Connor singen, aber nur die Strophen und nicht den wirklich richtig tollen Refrain, den ich so mag. Oder sie nähern sich von hinten ganz langsam, um mit ihren Haaren, die vereinzelt aus ihrer lederartigen Haut wuchern, an meinen Nacken zu tippen.

Im wirklichen Leben machte mich Big P auf die Plakate der Hüpfburgen-Welt auf dem Jahrtausendreich-Feld aufmerksam, als wir durch die Straßen schlurften von einem Song zum nächsten. Zurecht! Denn bereits vorher fiel mir die etwas ungewöhnliche und dabei auch grob wirkende Grafik-Design-Arbeit auf. Ein überblitztes Bild eines ca. 4 oder 5-jährigen Mädchens, welches die Namesgeberin der Hüpfwelt ist (wie gendere ich das Pronomen hier eigentlich korrekt?). Sie hockt, und schaut lachend in die Kamera, die sie schräg von oben fotografiert (ein Erwachsener am Drücker). Drum herum sind Gummi-Tyrannos, Krokos, Raketen und Monstertrucks abgebildet. Das ganze ruht auf einem pinken Grund. 

P und ich liefen kamen dann auch am Ort, den die Plakate bewarben vorbei und er wies ebenfalls daraufhin, dass auf dem zum Hüpfland gehörigen Festzelt seit zwei Deu-tschland-Fahnen wehen. Diese seien nicht von Anfang an da gewesen und evtl. ein Kampfzeichen gegen die gegenüberliegende stetig wachsende Wagenburg der Outkasts of Plagwitz. Bei denen habe ich übrigens vor einige Wochen ein paar Stunden am Feuer verbracht, ich glaub, ich hatte davon geschrieben. War interessant, aber am Ende ging es auch nur ums Geld, Medikamente und dem einen war kalt, weil er nur ne kurze Hose anhatte. Leider...

Jedenfalls meinte ich dann, das mit den Fahnen kann auch so ein Ding der Schausteller-Gilde sein. Und eine Woche später, fand ich endlich die Möglichkeit, dies konkret herauszufinden: Ich hatte gerade ein frisches paar niedrige weiße Chucks vom Paketboten bekommen (an dieser Stelle nochmal danke an den Style-Gott und den Chef meiner Facility-Management-Firma in einer Person. Ich werde deine Weisheit nie wieder anzweifeln) und ging mit diesen den Weg übers Tausendjahrfeld. 

Dabei fiel mir als erstes die fortschreitende Desertifikation bzw. Versteppung auf...kaum ein grüner Halm. Nur Staub und Sand. Dazwischen Menschen auf improvisierten Sitz- und Liegemöglichkeiten...manche ziemlich geröstet und unbeweglich unter ein senkrecht stehenden Sonne, neben sich 0,3er Bierflaschen oder schmalhalsige Behältnisse voll warmen Wein. 

Mein Blick richtete sich aufs Hüpfburgenland, die Flaggen wehten und ich sah, dass der Bauzaun, der die Burgen schützte (keine Zitteraale im ausgetrockneten Burggraben und das riesige Gummikroko lag schlaff am Boden) an einer Stelle offen war. Dahinter zwei Sattelzugmaschinen und ein kleiner kräftiger Mann mit kurzen lichten Haaren in kurzer Hose und motivbedrucktem Unterhemd. Ich lief in einer gerade Linie auf ihn zu und signalisierte durch ein kurzes Nicken, dass ich ihm wohlgesonnen war und nach Kommunikation suchte. Er reagierte ebenfalls mit einem Nicken und zog die Augenlieder zusammen. 

In ca. 3 Metern Entfernung sagte ich freundlich "Hallo" und dass ich eine Frage hätte. Er meinte: "Ja, bitte?". Etwas ungelenk fragte ich, wozu diese Flaggen auf den Spitzen des Zeltes dienen. Das war mein ungefährer Wortlaut...ich schob noch nach, ob das was mit dem Schausteller-Gewerbe zu tun habe und sie damit vielleicht zeigen, zu welcher Gilde sie gehören. Ich wollte nicht wie ein vollkommen unwissender Idiot daher kommen und wollte auch, dass er sieht, dass ich Respekt vor dem Gewerbe habe. 

Der Schausteller antwortete dann auch recht schnell: "Nein, nein, das hat keine weitere Bedeutung." Sie möchten nur zeigen, dass sie hier in Deutschland sind und das mögen. Quasi als freundschaftliche Geste. Ich schob dann noch eine Frage bzgl. des Betriebs der Hüpfburgen nach. Die werden jeden morgen neu aufgeblasen mit Strombetriebenen Aggregaten. Während er mir das kurz erklärte, bohrte er in seiner Nase und schaute mich etwas skeptisch mit schräg geneigtem Kopf an. Ich bedankte mich für die Auskünfte und ging den staubigen Weg zurück. Ich dachte mir, vielleicht lassen sie die Flagge auch wehen damit die skeptischen Eingeborenen keine Angst haben wegen ihrer Vorurteile gegen Schausteller (Sinti und Roma, fahrendes Volk).

Als ich das Feld verließ bemerkte ich, dass auch die Outkasts inzwischen eine Deutschland-Flagge auf ihrem Wohnwagen gehisst hatten.

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