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Yung Jemand

C The Strawberry Girl hat mir ein Video des Künstlers Bausa geschickt und mich gefragt, ob ich den kenne. Kannte ich nicht und dann hab ich's mir angesehen und die Zahnräder in meinem Hirn setzten sich knirschend in Bewegung. Herzlichen Dank dafür. 

Bausa singt über Liebe in sehr schöner Art. Es ist ein typischer Vertreter der (nicht mehr lange aber zur Zeit noch) angesagten Rap-Spiel Art Trap. Die Stimmen sind verfremdet, die Beats sehr langsam und soft und das Thema des Liedes eher emotional geprägt in angenehmem Kontrast zur sonst eher Macho-Dominierten Art, die man sonst im Rap antrifft. Ob diese emotionale Art nun aber wiederum eine weitere Version des Machismo ist, quasi doppelbödig, kann ich nicht sagen. Darum geht's hier auch gerade nicht. 

Bausa singt: "Gib mir mehr von dem, was du Liebe nennst/Auch wenn es keine Liebe ist, ich liebe es". Das ist die Refrain und Kernzeile des Stücks. In den Strophen werden dann verschiedene Szenarien aufgezeigt, wie toll diese "Liebe" ist. Es werden Mercedes' vor der Tür und Herzen in Betten geparkt. Das ist super. Wichtig zu wissen ist auch, dass das Video davon handelt, dass Bausa und seine Crew das Geld, dass ihnen vom Label für den Dreh zur Verfügung gestellt wurde für verschiedene kostspielige Aktivitäten verballern und das zum Inhalt des Videos erheben. Das ist nicht unbedingt superneu aber eine angenehm schmerzende Art und Weise der Kapitalismuskritik. Kann man zumindest so raus lesen, wenn man Bock drauf hat und das habe ich. 

Es macht ja auch ziemlich Eindruck, wenn man so cool ist und das Geld der Industrie "verantwortungslos" zum Fenster rausschmeisst. Letztlich freut sich auch die Industrie, denn wenn es die Fans beeindruckt, klicken sie das Video und kaufen die CDs oder laden die Tunes herunter, was dann auch wiederum der Industrie zu Gute kommt. In diesem Sinne ist der Künstler, hier Bausa, nicht Urheber sondern Teil der Konsum-Kritik. Das ist natürlich nur eine Unterstellung von mir. Wenn er das so geplant hat: umso besser. Jedenfalls erfreut es mein kleines Herz, wo der Wartburg drin parkt und alles mit blauem Gemisch-Abgas zuqualmt, dass mir ganz mulmig wird, wenn ich sowas sehe oder zugespielt bekomme. Und da kommen wir auch schon zum mich selbst betreffenden Punkt in diesen Ausführungen hier: 

"Angesichts der Weltlage sind es vor allem die informierten, die auf Realitätsflucht angewiesen sind."

Diesen Satz las ich im Rahmen einer Rezension des neuen Schacke One Albums "Bossen & Bumsen" und mir wurde etwas mulmig oder sagen wir, er versetzte mir einen Schlag. Denn: während ich doch sehr viel Zeit damit verbringe, das Weltgeschehen zu verstehen, zu kommentieren und Schlüsse daraus zu ziehen, scheinen diese Rapper einen Schritt weiter und der Nichtigkeit ihres Lebens bewusst: Sie unternehmen nicht den Versuch, das Schreckliche direkt zu kommentieren, sondern sagen sich "man lebt nur einmal" und propagieren das gute Leben in all seinen Facetten und kommentieren damit in größerem Sinne ja auch die Welt. Nur eben ein bisschen cooler.

Und da begann ich mir plötzlich albern größenwahnsinnig vorzukommen. Jay La Jay sagte mir auch schon recht oft, es käme ihr so vor, als ob ich mich selbst zu oft zu ernst nähme. Und vielleicht geht es in Musik einfach nicht darum, zu ernst zu sein. Ich nehme solche Aussagen hin, akzeptiere sie. 

Weiß aber auch, dass es nicht nur einen Weg gibt man, also ich, sich aber nicht unbedingt aussuchen kann, welchen man geht. Oder glaubt hier jemand, ich könnte, geschweige denn wöllte jetzt lebensbejahend über das gute Leben singen? Ich habe da so meine Zweifel und ziehe die Sache auch weiterhin so durch. Und es stört mich auch nicht sonderlich mehr, als ein Specht, der auf meinem Kopf sitzt und ab und zu die Schädeldecke anhämmert und schaut, ob da Würmer drin sind. (Sind welche drin.)

Nochmal zurück zu dem Satz mit der Weltlage und der Flucht der Informierten: Worin besteht nun die Pflicht, der Menschen denen es gut geht? Sollten sie denen, die Leiden und damit meine ich nicht mich, der sich mit einer Depression und irgendwelchen Minderwertigkeitskomplexen rumplagt, sondern denen, die dort Leben wo Krieg ist oder eine der vielen anderen Spielarten, die den Menschen am Leben hindern herrscht, helfen oder sollten sie ihr gutes Leben führen so lange es noch geht, damit das Gesamtbild der Menschheit ein positives bleibt und spätere Lebensformen nicht nur ihre Köpfe mit Spechten drauf, sofern es dann noch Spechte gibt und die Lebensform Köpfe hat, schütteln über das unnötige Leid, dass sich die Menschheit selbst zufügte. 

Leute, ich bin mir nicht sicher. 

Bausa hätte die 40000 Euro die ihm laut Info am Anfang des Videos vom Label zur Verfügung gestellten worden auch dafür nutzen können, in einem Krisengebiet, ich sag jetzt mal irgendwo in Afrika den Menschen zu helfen. Brunnen bauen oder ein Krankenhaus. Und sich dabei filmen lassen. Hat er aber nicht gemacht, er hat eine andere Möglichkeit gewählt. Ist okay. Ist vor allem okay, weil das nicht sein Job ist oder sein muss. 

Auf jeden Fall können die Menschen, die dort Leben, wo das Leben nicht so schön ist wenn sie Internetzugang haben und die meisten haben das, sehen, was wir hier so machen im Westen, wenn sie auf sein Video stoßen. Und dann kommen sie und dann sagen wir ihnen, dass sie bitte wieder gehen sollen, wenn in ihrem Land wieder ein bisschen Frieden bzw. wenig genug Krieg herrscht, dass es unseren Maßstäben entsprechend ausreicht um ihre Sicherheit zu Gewährleisten.

Ich find es toll, was so ein Musikvideo und es ist ja nur Musik, für Gedanken anregen kann.


Frohe Weihnachten.
Wirklich jetzt.

Tiefer Dank und Gruß aus meinem Trabbi-Blauen Herzen,

TV.

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