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Ohne diese Dinge leben/Prinz Ipien

Brauche ich diese Hose? Brauche ich diesen Zucker? Was brauche ich überhaupt. Nun ja, es ist nicht so übel in Kleidung umher zu gehen, die passt und man nicht aussieht, wie ein zu groß geratenes Kind, das in seinen Sachen versinkt. Die Haltung zum Leben ist eine andere. Man schreitet im engen Beinkleid und präsentiert, was man hat oder nicht hat. Ich fühlte mich auch gleich wie ein richtiger Rocknroller, als ich mal wieder meine Lieblingsjeans trug. Die war ein Glückskauf, eine alte Lee Riders. Habe ich so nicht nochmal gefunden. Aber seit dem einiges an Geld ausgegeben, für gebrauchte Hosen, die weniger gut saßen. Zu eng oder zu weit. Die zu engen habe ich weiter gegeben, die zu weiten behalten und mich tatsächlich daran gewöhnt, sie zu tragen. Hosenbeine umgekrempelt und den Gürtel fest geschnallt. Ist schon nicht so übel. Robuster Stoff der die Beine lässig umschliesst...aber irgendwie auch ein bisschen schlabberig das Ganze. Und so verhält man sich dann auch, lässig. Zu lässig? Ich kann es nicht zulassen. Zum Glück habe ich ein paar sehr gut sitzende Anzüge von Herr von Eden, die kleiden mich und entlasten mein Gehirn von der ewigen Frage, was ich nun anziehen soll -  Und trotzdem geht meine Suche nach passenden Jeans weiter. Der Gebrauchtmarkt ist da für mich immer noch erste Wahl, denn neu kaufen möchte ich nicht, wegen den Produktionsbedingungen und wenn es noch alte Jeans gibt, die jemandem nicht mehr passen, wieso sollten die weggeschmissen werden? Außerdem lässt sich mit der Suche von vermeintlich passenden Jeanskandidaten auch sehr gut die Zeit wieder verschwenden, die ich durch das Anzugtragen und der nicht gestellten Was-ziehe-ich-an-Frage gewonnen habe. Schlimm oder? Hinzu kommt noch, dass ich manchmal mehr Geld für 3 unpassende gebrauchte Jeans ausgegeben habe, als für eine passende. Aber es geht ums Prinzip. 



Wenn der Rest des Lebens schon nahezu Prinzipienlos verläuft, bleiben mir doch wenigstens noch die Kleiderwahl und die Ernährungsweise als letzte Bollwerke. Mir wurde jedoch letztens noch einmal Nahe gelegt, dass ich die Dinge doch nicht immer so existentiell betrachten soll. Allen voran das "Trinken". Festgemacht wurde dies daran, dass ich selten nach dem Konsum von ein oder zwei alkoholhaltigen Getränken halt mache, sondern erst dann, wenn ich, ohne es zu wissen nach einem Tresentanz ins Limejuice-Depot (neues Lieblingswort, so gesagt vom President of Funland) krache. Oder eben gar nichts trinke. Diese existentielle Lebensweise der Askese oder vollkommenen Hingabe an eine Sache oder eine Substanz war mir selbst gar nicht bewusst. Aber einmal darauf aufmerksam gemacht, taucht dieses Muster plötzlich überall auf und ich erkannte: ich esse zu viel Süßes. Anstatt aber, zu schauen, nicht mehr eine komplette Kekspackung pro Tag zu essen, sondern vielleicht nur einen Keks und sich dadurch zu mäßigen, verzichtete ich komplett auf alles Süße und hielt das ganze vier Tage durch. Tag 5 war geprägt durch eine Rückfall mit einer Tafel Waffeln und zwei Yes-Törtchen. Hier möchte ich die Frage stellen, warum dieses Süßprodukt als Törtchen bezeichnet wird? Es ist doch eher ein luxuriöser Schokoriegel. Finde ich. Ich hab schon wieder total Lust jetzt eins zu essen. Werde es aber nicht tun. Am Ende geht es bei den Jeans, bei den Yesses oder auch den Schallplatten auch gar nicht um die einzelne Sache, sondern um das dahinterliegende Prinzip. Ich bezeichne es mal, als Konsum. Lust am Konsum, die ziemlich Hemmungslos ausfallen kann. Da ich kein Maß kenne. Ich gehe dem Impuls einfach nach und bin damit das perfekte Opfer unserer Zeit. Denn die Infrastruktur der Schoko- Jeans und Plattenindustrie ermöglicht es mir, nahezu SOFORT meinen Impulsen nachzugehen und diese zu befriedigen. Mit dem Ergebnis, dass ich gleich noch mehr davon will und damit mehr Geld in die Kanäle der Machthaber fließen lasse. Man kann an dieser Stelle einwenden, dass ich häufig gebraucht kaufe (Nein, Schokolade nicht) und damit den Oberkapitalisten nicht direkt in die Hände spiele, aber das ist zu kurz gedacht. Denn so oder so, bin ich dem Prinzip erlegen, dass dem K zu Grunde liegt: Hemmungslose Befriedigung von Lüsten durch Geld in Waren-Tausch-Maßnahmen.

Hier sollte jetzt eigentlich ein Clip des Mutter Songs "ohne diese dinge leben" hin. Habe ich aber nicht gefunden, stattdessen dieser nette Song:


Dementsprechend angewidert von mir selbst war ich dann auch, nach dem ich dieses Prinzip der Hemmungslosigkeit oder etwas romantischer formuliert existentialistischen Lebensweise in allen Bereichen (nach Hinweis von GAPD) an mir selbst erkannte. Umso erstaunlicher war dann die nächste Erkenntnis: es geht auch ohne diese Dinge, so verzichtete ich nicht nur auf Zucker, sondern auch auf den Plattenkauf und Hosen und stellte fest, dass der Verzicht auf Dinge das Leben nicht schmälert, sondern erfüllter macht. Man sieht die Dinge anders (kenne ich vom Verzicht auf Alkohol) und betrachtet, das was da ist, mit anderen Augen. Frei nach dem Motto: weniger ist mehr. Wobei weniger, weniger ist und man dadurch mehr Zeit und Gehirnkapazität für die einzelne Sache hat, sie betrachten und erörtern kann.

Möglich ist aber auch, das die Askese nur der Versuch ist, sich den sowieso schon niedrig gehaltenen Lebensstil schön zu reden. Und damit wäre bewiesen, dass auch im Betrachten und Erkennen von  Prinzipien in allen Lebensbereichen meine existentialistische Denkweise ihren Ausdruck findet.

Aber was soll's?
Mir geht's gut. 
Irgendwie. 

TV.

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