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Schulterzuckerndes Opfer

Es ist Vollmond und ich habe eine Fledermaus im Haus. Die sind von nahem ganz schön groß. Und wenn sie fliegen hört man nichts, so wie man bei Vögeln das Schlagen der Flügel hört. Nur als sie ganz nah an mir dran war, da spürte ich den Windhauch. Ich wollte sie mit eine Pullover einfangen, endete aber damit, dass ich leise Schreckenslaute ausstoßend den Pullover wie ein Matador sein Muleta vor mir her wedelte. Naja, es wird wohl nicht so elegant ausgesehen haben wie bei einem Matador. 

Die Fledermaus zog dann mehrere Bahnen und ich hoffe sie ist jetzt durch eines der großflügeligen Fenster, die ich auf allen Etagen meines Hauses geöffnet habe, hinaus in die Nacht geflogen. So langsam steigt in mir nämlich auch ein wenig Angst auf. Nix Fledermausland und Psychedelik...hier gehts um handfeste Vampirfantasien. Es ist Herbstanfang, es ist Vollmond und eine Fledermaus hat sich zu mir verirrt. Ich hoffe das beste. 

Was heißt das in meinem Fall? Also entweder möge diese Fledermaus mich fest beißen, so dass ich als bleicher Jenseitiger für immer Gitarre spielen und sinistre Songs singen kann (man denke an Only Lovers Left Alive). Das würde mir auch zu Passe kommen, weil die Fertigstellung meines nächsten Albums dann ein anderes Gewicht bekommen würde. Nämlich ein irgendwie federnd geartetes. Oder? ODER? 

Der andere Optimalfall wäre, ich bleibe liegen, wache morgen wieder auf und Mausi oder Fledi hat ihren Weg nach draußen gefunden und hängt wieder irgendwo ab. So wie ich. Ich hing letztens, nein ging mit Jay La Jay über einen Flohmarkt. Das habe ich schon länger nicht mehr getan und als ich an einem der ersten Stände die wir querten eine Kiste mit Schallplatten durchblätterte, fand ich doch tatsächlich die Paul McCartney II auf der ein mir sehr zusagendes Lied enthalten ist:


Das war gut. Was aber wesentlich famoser war: der Besitzer des Standes war ein Mann, der mich erkannte und mich direkt an vergangene Zeiten in meiner Heimatstadt Halle erinnerte. Dort erklomm ich nach einem angetrunkenen Rockkonzert, dem ich als Zuschauer beiwohnte (ich glaube ich bin auch kurz auf die Bühne gerannt), sein Auto und rüttelte daran herum. Warum nur? Ich glaube, es war irgend so eine Frauengeschichte. Meine Band fand er auch immer gut, nur mit meiner Stimme, naja. Die macht ja immer Probleme. 

Ich war pikiert bis amüsiert und wandelte über den Rest des Flohmarkts mit den Gedanken in der Vergangenheit oder besser noch, mit der Vorstellung, dass man einen Flohmarkt aufsucht, um alte Dinge zu erstehen und nicht um an alte Erlebnisse und wilde Dummheiten erinnert zu werden. Aber vielleicht ist das gar nicht so übel. Die Kombination oder auch nur so ein Ort, wo man sich alte Erinnerungen kaufen kann. Die eigenen oder die von Fremden. 

So einen Markt könnte es dann wiederum in Fledermausland geben. Also einem Ort, an den du gelangst, wenn du die richtigen Substanzen in den richtigen Dosen zu dir nimmst. Bärtige Händler bieten dir dort Bilder von damals, du auf dem Dach eines Kleinbusses, du als tanzender Michael Jackson auf dem Teppich in der Neubauwohnung deiner Oma, du als du mit 15 bei einer Show in nem Keller einen wütend-euphorischen Sprung machen wolltest und mit dem Kopf gegen die niedrige feuchte und salpetrige Decke knalltest und das Zeug dann in dein fettiges Haar und auf deine Schultern fiel und aussah wie Kristallzucker. Später sitzt deine Freundin heulend an der Ecke vor dem Laden und du weißt nicht wieso, nur das irgendwas faul ist und wieder so ein Moment eintritt, in dem du denkst: sobald alles mal kurz okay ist, gehts im nächsten Moment wieder tief nach unten. 

Und so weiter und so weiter. 

Dann lieber schnell runter vom Markt, denkst du dir und biegst um die Ecke, wo riesige Hallen stehen. 

Ich war dann wirklich durch mit dem echten Markt und ging durch eine offene Glastür in so eine Halle rein. Da drin waren mindestens zwanzig Reihen schwarzer Klappstühle aufgestellt. Und nicht nur 5 oder so. Jede Reihe hatte bestimmt 100 Plätze und da war eine Bühne mit einem Schlagzeug, das stand hinter so einer Plexiglaswand. Und da wo ich stand, war ein Tisch mit ganz vielen Rosen in kleinen Vasen. Eine habe ich dann genommen und JLJ geschenkt. 

Und wir liefen weg. 

Da hat nämlich ein Gottesdienst stattgefunden und die hatten auch ein Heilungszelt. Das hätte ich gern mal gesehen, aber alles in allem sind mir die Häuser Gottes stets suspekt und ich tendiere zum verführenden Rosen-Klau. 

Die McCartney Platte habe ich nicht mitgenommen. Weil a) es doch mal ne gute Übung war einen wie auch immer gearteten Markt ohne Konsum durchquert zu haben und b) ich dem freundlichen Mann aus der Vergangenheit bestimmt noch einmal begegne. In Form einer Fledermaus. Vielleicht.

TV.

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