Direkt zum Hauptbereich

Tag des fallenden Bestecks

Nicht so selten habe ich Fantasien, die aus Beobachtungen scheinbar nur etwas von der Norm abweichender Ereignisse entstehen. Es sind Fantasien, die das Ende einer Welt ankündigen, Anomalien in einem zusammenbrechenden System. Die letzte entstand aus dem vermehrt auftretenden Fallen von Besteck in meiner unmittelbaren Umgebung. Messer und Gabeln fielen von Tellern, schlugen lautstark auf Holz- und noch resonanter und schmerzhafter auf Marmorböden, die von der Zeit gezeichnet pittoreske Risse tragen. Und immer, wenn ein normalerweise nicht so oft eintretendes Ereignis und dazu zähle ich das Fallen von Besteck durchaus, öfter stattfindet, horche ich auf. Dann denke ich: hier stimmt was nicht, da liegt ein Fehler vor in der Programmierung der Ereignisse oder ihrer Verteilung in Zeit und Raum. 

Die Fehlerscheinungen werden immer massiver und Enden damit, dass nach und nach alle Menschen verschwinden. Davor werden viele zu sehen sein, die sich auf der Straße ausweichen wollen und daran scheitern, weil sie immer in die selbe Richtung ausweichen, wie ihr Gegenüber. Und so wackeln abertausende von links nach rechts und keiner kommt rechtzeitig zur Arbeit oder zum Konsum (hier ist der Begriff Konsum gemeint, nicht die DDR-Typische Bezeichnung für einen Supermarkt). Ja, auch das ist mir in den letzten Tagen häufiger passiert. Aber ich schiebe es auf die Fehler in meinem eigenen Personalsystem. Und letztlich wird auch dieses Endzeitfantasieren nur irgendwas mit der mir innenwohnenden Unruhe zu tun haben oder dem Verlangen etwas abzuschließen oder zu verändern. 

Das allumfassende Weltende interpretiere ich als Wunsch nach einer simplen Lösung, die auch gar keine andere Möglichkeit lässt. Also keinen Ausweg und sie kommt von außen, nicht selbstgeschaffen. Nun ja, so einfach ist es sicher nicht. Es sei denn diese Fantasien beziehen sich nicht auf die sogenannte "echte Welt" sondern auf die Welt im Inneren eines Menschen, in dem Fall des TV. Und in dieser Variante bedeutet es dann auch, dass der Mensch selbst etwas tun muss. 

Wirr...kommen wir zu etwas weltlicherem: 

Letzte Woche schrieb ich vom letzten sanierten Haus der Straße und der Leuchtlaufschrift in der Ladenetage und meiner Zerstörungsfantasie eben jener. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass der am längsten in der Straße und mir sehr vertraute Spätshop dort sein neues Domizil fand. Was dazu führte, dass mein simples Schwarz/Weiß/Böse/Gut-System ein bisschen durcheinandergewirbelt wurde. Denn eigentlich hätte da doch ein schlechtes Geschäft oder sowas reingehört. Stattdessen der tolle Spätshop als sichere Quelle einer freundlichen Begrüßung und Verabschiedung und nie eines Wortes mehr, obwohl man sich schon seit ziemlich langer Zeit kennt. Und natürlich Quelle von Waren des täglichen Bedarfs (Stern-Bier, Wasser, Schokolade)...so kann es also gehen. 

Feind und Freund vermischen sich. Es gab aber keine Einweihungs oder Betriebsfeier, warum auch? Das Geschäft war schon immer von einer sehr guten Reduktion geprägt (Kasse, Neonlicht, Getränkekisten zwischen denen, wie eingepasst Bedienstete stehen und den Kunden observieren). Da ist gar kein Platz für Feiern. 

Dafür dröhnt aber regelmässig aus anderen Geschäften und Büroetagen Musik, wenn dort Betriebsfeiern abgehalten werden. Das klingt dann meist sehr Basslastig und verhallt, denn die Räume sind hoch und ebenfalls spärlich eingerichtet. Der Klang von Gesprächen und meist etwas exotischer Musik (Südamerikanisch) mischt sich zu einem Brei, der die Stimmung der Gäste lösen soll. Denn, jeder kennt es, am Anfang jeder Feier herrscht meist etwas Anspannung. Später dann, wenn die Stimmung breiig wird, kommt Musik, die geradere Rhythmen hat, sogenannte Party-Hits. Die geben den vernebelten Geistern halt in der Wirklichkeit. 

In ihrer Wirklichkeit.

Während ich an diesen Ladengeschäften vorbei gleite und die sich gegenüberstehenden tanzenden Körper hinter den Vorhängen und Scheiben sehe und weiß, das ist ein Fehler im System, die wollen sich eigentlich ausweichen, sind aber in der Linksrechtsschleife gefangen. Und über viele Jahre hinweg entstand daraus das Phänomen Tanz, während am Buffet die nächste Gabel auf den Boden (Parkettimitat) fällt. 

Schwarzblende.

Ende.

T.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...