Hallo.
Wie Peter Hein schon sangsagte: "Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen." Das passiert mir nicht so oft, aber aus gegebenem Anlass riss ich mich zusammen und habe mich dem sozialen Raum Kino ausgesetzt.
Den allseits gefeierten deutschen Film Victoria habe ich mir reingezogen, gegen Ende geschwitzt und als zweite Person noch während des Abspanns den Saal verlassen. Ich fand es etwas fade, dass es am Ende doch ums Geld geht. Die Frau und das Geld. Und nur weil der Film technisch erhaben ist, durch seine revolutionäre One-Take-Aktion hat's mich jetzt nicht vom Hocker gerissen. Vielleicht war mir die Story zu realistisch und logisch im Sinne von real und Straßen-kredibil.
Im Gegensatz dazu, war ich von "It Follows" sehr angetan. Nicht zuletzt, weil Crazy S. mir und dem Rest der Band schon Monate lang begeistert von dem Film erzählte. Nein, er war wirklich gut. Es ist ein Horrorfilm gemischt mit Adoleszenz/Teenager Elementen. Und tollen Bildern. Und mehr Interpretationsfreiraum. Vielleicht bin ich ein fantasieloser Weltflüchter und konnte mich deshalb mehr mit "It Follows" anfreunden, als mit "Victoria".
Gleich während der ersten Szene spielte sich übrigens etwas tolles ab: Ich saß im äußersten Kinosessel am Gang und war völlig vertieft darin, zu erkennen, wer oder was gleich aus dem Bildhintergrund auftaucht, denn "It" kommt immer auf das Opfer zu (nachdem dieses sich durch Sex mit der vorher verfluchten Person "it" aufgehalst hat). Ich war also konzentriert und auf einmal tippt mich eine Kinobedienstete von der Seite an, was mich extrem zusammenzucken und einen kehligen Laut ausstoßen ließ.
Der Saal lachte, was er übrigens oft tut, wenn irgendwer der aufs Klo muss zum Beispiel ein Blechschild im dunkeln umrennt oder besonders witzig buckelig vor der Leinwand herumläuft. Wieso nur? Ein paar Minuten später, gab es dann die erste Schockszene und 60% des Saals schrie auf. Ich nicht. Ich lachte nur in mich hinein. Diese Menschen…
Ein weiterer Grund, warum "It Follows" von mir favorisiert wird, ist, dass mich Dinge und Symbole verfolgen. Vor einigen Wochen kam ich auf die Idee ein Fotoautomaten-Foto von mir selbst, zu manipulieren und zwar in Form eines weggekratzten linken Auges. Das Ergebnis ist mein Profilbild bei FB. Nun, ein paar Wochen später habe ich ENDLICH wieder eine Ray Ban Wayfarer aus den 80ern bekommen für wenig Geld. Dazu gleich mehr.
Diese Brille hat einen starken Kratzer auf dem linken Glas. Und ich dachte: "Es verfolgt mich." "Es" ist in diesem Falle die IDEE, des nicht ganz klar sehenden linken Auges. Was das genau heißt, weiß ich noch nicht. Hat es etwas mit der politischen Situation zu tun oder werde ich bald mein linkes Auge verlieren? Bin ich auf dem richtigen Weg, weil Symbole wiederkehren? Oder verschließe ich den Blick und fokussiere nur auf Dinge die mir bekannt sind und bleibe so letztendlich in einem dunklen Tunnel unterwegs ins Licht?
Jetzt nochmal explizit zur Brille: dass ich älter werden, bekomme ich dadurch mit, dass mir zur Zeit die ersten Trends schon sehr bekannt vorkommen. Musik, Mode usw. So ist es auch bei den Wayfarerbrillen. Denn: vor ein paar Jahren hab ich die Originalexemplare bei eBay für 30,00 Euro bekommen, jetzt hätte ich mindestens 80Eurosen drauflegen müssen.
Die letzte Wayfarer, die sich in meinem Besitz befand habe ich verloren, als ich fast gestorben wäre. Ich spielte mit 206 im Januar des Jahres 200x in Halle vor der guten Band Sandow. Im Vorfeld hatte ich ein Interview mit deren Sänger Kai-Uwe (Uwe-Kai) Kohlschmidt gelesen, in dem er von einem Buch namens "Schwarze Sonne" erzählte. Das ist ein nicht ganz ungefährlicher Paperback-Wälzer von 1000 Seiten zur Entstehung des Arier-Kultes, der Hohlerde und wie Geheimbünde die Nazis infiltriert haben und alles kontrollieren (angeblich). Der übliche Kram.
Mit diesem Buch in der Hand saß ich dann in der Straßenbahn Richtung Bahnhof und Halle/Saale. Es war ungewöhnlich sonnig für einen Wintertag. Deshalb freute ich mich, denn die Sonne erlaubte mir, in meinen ranzigen Stoffbeutel zu greifen und mir meine coole Brille auf die eigene Nase zu setzen ohne sofort als Freak tituliert zu werden. Ich sollte es bereuen.
Denn: nach dem Konzert, war die geteilte Jack Daniel's Flasche alle, ich hatte meinen Fahrschein in der S-Bahn nicht entwertet. Fake-English konnte den Schaffner auch nicht davon abhalten mir das Booze-Geld aufzudrücken. Ich bin ständig ausgerutscht und danach zum ersten und bisher letzten Mal in meinem Leben in der Straßenbahn eingeschlafen. Oder weggetreten.
Dann habe ich nur noch schemenhafte Erinnerungen, von Leute die mir aufhelfen wollten. Ich verneinte. Torkeln. Schlussendlich lag ich mehrere Stunden im Schnee, bis C. mich durch einen glücklichen Umstand festgefroren auffand. Ich ließ mich dankbar nach Hause begleiten und fror noch unter der heißen Dusche.
Die Ray Ban und das Schwarze Sonne Buch verlor ich gemeinsam mit dem Stoffbeutel.
Der Finder wird sich gefreut haben.
Ende Gelände.
Euer Sklave der Luxus-Probleme,
Timm.
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