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Es werden Posts vom August, 2024 angezeigt.

#405 Tradition/Aggression

Ich trage Holzfenster mit Iso-Glas aus einem LKW in einen Garten. Die Fenster sind gebraucht, die Rahmen sind an den Unterseiten gesplittert. Es sieht aus, als wären sie in Eile herausgebrochen. Mitnehmen, was man greifen kann.  Mit Brecheisen, deren roter Lack zu großen Teilen abgeblättert ist. Dort wo jahrelang Hände griffen, hat Schweiß das Material samtig glatt werden lassen. Und wer so ein Werkzeug benutzt, wird den metallischen Geruch noch lang an seinen Händen tragen. Wo die Fenster herkommen, ist mir nicht bekannt. Aus einem der Vororte vielleicht.  Der Garten befindet sich in einem Randgebiet und grenzt an eine Brachfläche von denen es hier immer weniger gibt. Inzwischen sind die meisten mit Neubauten bepflanzt getrieben von der Idee schmuckloser klarer Formen als bauliches Abbild eines effizienten geradlinigen Lebens. Diese Idee wandelt sich im Alltag recht schnell in Beklemmung. Das Auge kann sich nur an scharf geschnittenen Flächen und Winkeln orientieren und jede ...

#404 Schmuck/Am untersten Garten

Auf dem Weg nach unten durch das Treppenhaus finde ich Schmuck auf einer Stufe. Einen Ohrring. Gebogen aus Draht, wie ein Haken, was mich auch immer an ein Fragezeichen ohne Punkt erinnert und mich überlegen lässt, warum Menschen sich Fragezeichen ohne Punkt verkehrt herum durch die Haut und das Fleisch ihres Ohrläppchens stecken. Sie machen das, weil sie sich dagegen entschieden haben, nach allem zu fragen. Stattdessen nehmen sie sich einfach, was sie wollen. Ich hebe den Ohrring auf, halte ihn zwischen meinen Fingern und reibe an dem Material herum. Auf den Haken sind Perlen aus Plastik aufgefädelt, Eine Türkise und eine Bernsteinfarbene.  Jetzt erinnere mich, dass ich erst vor kurzem eine kleine Tüte mit genau solchem Schmuck vor der Tür einer Räumlichkeit, durch die ich oft gehe, liegen sah. Und ich dachte damals schon, dass ich mit dieser Tüte nichts zu tun haben möchte, dachte daran, dass Gegenstände einen Fluch in sich tragen können und dass jemand mit Zauberwissen, was imme...

#403 Atmende/DVD-Menüs

Ich drehe mich auf den Rücken und reibe in entgegensetzten Kreisbewegungen mit meinen Handballen ganz fest meine Augen. Dieser Druck bringt mir Enstpannung, schon seit Kindertagen. Die Tage sind aufgefädelt an einer Schnur, wie Perlen aus Nussbaum, jede wie die andere und mit der Zeit werden sie dunkler, weil sich Dreck in den Poren des Holzes verfängt. Die Stücke der groben Filzschnur, die zwischen den Perlen hervorschaut, das sind die Nächte in denen ich zwischen drei und vier Uhr wach liege, jede ein bisschen anders, aber bestimmt von meinem Atem, der, wie mir einige Menschen sagten, so flach sei, dass sie manchmal nicht wüssten, ob ich überhaupt Sauerstoff aufnehme oder noch am Leben sei. Ich beobachte diesen Atem, mein Brustkorb hebt sich, dann senkt er sich und die aus meiner Nase strömende Luft erzeugt hohe Töne, wie ganz kleine Geigen oder weit entferntes Klagegeschrei. Und manchmal, wenn ich diese Töne im Halbschlaf höre, bin ich nicht sicher, ob sie aus mir heraus entstehen o...

#402 Das/Surren

Das ist es, was mich zu Tränen rührt: Das Unschuldige der Konsumenten, die sich aus einer Laune heraus, genau für einen bestimmten Farbton ihrer Kleidung entscheiden. Der Mann da, er hat ganz bunte Schuhe. Warum? Ich stelle mir vor, wie er in einem Geschäft steht, allein, und sich sagt: "Ich mach das jetzt. Warum nicht mal bunt?"  Und damit wird der Schuh zur Ersatzhandlung für die ein oder zwei Male, wo er "Nein" gesagt hat, als es darum ging, zum See zu fahren, weil er einfach keine Lust und auch ein bisschen Angst vor den Menschen an sich hatte und stattdessen im Arbeitszimmer blieb und die Tabellen mit der Abrechnung von 2022 als Grund vorschob.  Als seine Frau und die beiden Kinder die Tür hinter sich schlossen, setzte er sich an den Schreibtisch, schloss die Augen und ließ sich in die Stille sinken. In diese Stille schob sich ein hohes Surren. Es schien vom Fenster zu kommen. Der Wind konnte es nicht sein, denn das Fenster hatte er vorhin geschlossen, weil er...