Direkt zum Hauptbereich

Welt der Erde/Menschgewerk


Ich betrachte die Menschen: Unterwegs auf den Straßen oder sitzend in den Bars und versuche mir vorzustellen, wie sie sich verhalten würden, wenn ein Krieg losbrechen würde. Diese zwanghaften Fantasien habe ich nicht erst, seit "Krieg" ein Wort geworden ist, dass etwas beschreibt, was in meiner unmittelbaren Nähe stattfindet und nicht mehr, wie lange davor viele tausend Kilometer entfernt oder lang vergangen in Büchern und Filmen festgehalten wurde und damit zu einer Art Mythe geworden ist. 

Die Fantasien sind näher an die Wirklichkeit gerückt. Mit einer sich stetig steigernden Unruhe sinniere ich über die Wehrhaftigkeit der in einer sicheren Welt aufgewachsenen Bürger, die bei aufkommendem Hunger einfach in den Supermarkt gehen können und bei ganz schlimmem Durst, wissen, dass man das Wasser aus der Leitung trinken kann. Und ich überlege, wie diese Menschen reagieren würden, wenn eine Armee in die Stadt einmarschiert: Olivgrüne LKW rollen durch die Straßen und verkünden über Lautsprecher, dass dieser Ort nun unter Besatzung steht und den Anweisungen des Militärs zu folgen ist.

Das ist aber der zweite Schritt vor dem ersten. Denn zunächst fahren die LKW der Armee des eigenen Landes durch die Stadt und sammeln alle männlichen Personen zwischen 18 und 45 Jahren ein. Die sogenannte Einberufung. Wie viele von ihnen würden sagen, dass sie gar keine Lust darauf haben und in dem Glauben verharren, dass es nicht nötig ist, auf den LKW zu steigen? Dass man den Vertrag, sofern es überhaupt einen gibt, nicht unterschreiben muss, dass man eine Wahl hat, so wie zwischen gesalzener und ungesalzener streichfähiger Butter. Letztlich, dass man einfach weiterleben kann, dass alles bleibt wie es ist: Eine stabile Welt, in der Frieden und Sicherheit Grundvorraussetzung, unter anderem dafür sind, dass man sagen kann: Ich habe keine Lust bei eurem Krieg mitzumachen. Wird es eine ausreichende Menge an Menschen geben, die weiß, dass diese Freiheit nicht einfach so gegeben ist? Oder werden sie sich dem nächsten System unterwerfen?

Es klingt fast so, als wäre ich kriegsbegeistert. Das Gegenteil ist der Fall. Ich wünsche mir Frieden für alle und meine Ruhe für mich. Trotzdem versuche ich mir manchmal vorzustellen, wie es wäre, wenn die Gesellschaft zusammenbricht, damit ich, wenn die Situation eintritt nicht zum ersten Mal darüber nachdenke. Ein Prepper in Gedanken

In diesem Glauben lebte ich lange Zeit, Jetzt aber, wo sich die Wirklichkeit, wie bereits erwähnt, immer mehr auf die Fantasie zubewegt, fange ich an Ausreden dafür zu finden, dass diese Überlegungen ganz andere Ursachen haben, als die sich steigernden Konflikte in der Welt: Ich bin einfach nur gestresst und denke deshalb über Krieg nach. Das hat alles gar nichts mit der Realität zu tun und ich muss mich einfach mal ein bisschen strukturieren. Fragt sich nur, wie lange ich diese Fantasie gegen die Wirklichkeit noch aufrecht erhalten kann. Die LKW stehen vollgetankt bereit.

TV

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...