Direkt zum Hauptbereich

Fanfare/Totale

Mehr und mehr konkretisiert sich in mir die Vorstellung aktiv in einen Krieg verwickelt zu sein - war es früher eine abstrakte Angst vor etwas, von dem ich wusste, dass es sowieso nicht eintritt, ist es inzwischen eine aktive Angst vor einer ziemlich konkreten Bedrohung, vor etwas, dass unüberschaubar und doch sehr real ist. Langsam schlich sich diese Vorstellung in mein Leben. 

Es fing an einem Sonntag morgen vor sehr vielen Jahren an, als ich bei einem Schulfreund übernachtete. Wir waren in einem Alter, in dem wir mit Panzern und so etwas spielten und im verrauchten Wohnzimmer auf dem Teppich umherkrochen. Der Vater, er hatte, so glaube ich mich zu erinnern, ein Glas Wein vor sich, begann uns sehr ausführlich die Geschichte des zweiten Weltkriegs zu erzählen. Ich glaube sogar, er fing beim ersten Weltkrieg und dem Mord am österreichischen Thronfolger. Ich war erstaunt, wie viel Wissen in diesem Mann wohnte. Aber ich hatte auch Hunger und es gab nur ein paar Rosinen. Später habe ich mich übergeben, weil mein Magen mit den Rosinen nicht zurecht kam. 

Vielleicht aber auch, weil ich von etwas erfuhr, dass mir Angst machte. Und als Kind begegnet man vielen abstrakten Ängsten zum ersten Mal, fügt etwas neues unten an die Liste der Ängste hinzu, von dem man davor noch nie etwas gehört hat. Jedes Mal dachte ich, hätte ich doch lieber nie danach gefragt oder es selber entdeckt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Mensch, mal abgesehen von instinktiven Ängsten, ziemlich sorgenfrei auf die Welt kommt. Und dann geht das Leben seinen Gang, man hört dies, man hört das und langsam entwickelt sich ein Bild von dieser Welt...und jemand erzählt von einem Krieg und man lernt sich davor zu fürchten, weil Krieg Leid und Tod bedeutet, aber gleichzeitig, so beobachtete ich es an mir, machte diese abstrakte Kriegsangst auch gleichzeitig bewusst, dass im eigenen Leben alles ok war. 

Am Abend lag ich dann in meinem Bett und träumte mich nach einigem Herumwälzen in ein Café in dem Mütter saßen, die ihre Kinder an eine Macht verliehen, verkauft oder von dieser weggenommen bekommen haben. Diese Kinder saßen in Raketen, die ich wie in Explosionszeichnungen von innen sehen konnte, eingezwängt in die Spitze und lenkten die Flugkörper in ihr Ziel. Es ging also auch hier um Krieg, um Zerstörung und ich empfand beim Anblick dieser Kinder in den Raketen eine allumfassende Bedrängung, die mich aufwachen ließ und von der ich mehrere Tage nicht loskam und in einer Art Schock durch die Schultage ging. 

Und letzte Woche sah ich auf meinem Telefon plötzlich Bilder eines aktuellen Krieges, Verletze, die notdürftig versorgt wurden und etwas, dass ich als Fleisch auf einem Grill wahrnahm, irritiert davon, weil es doch eben noch Kriegsbilder waren. Aber dann nahm jemand das Fleisch vom Grill und es wurde klar, dass es eine abgetrennte menschliche Hand war, die aus einer Glut herausgenommen wurde. Ich schaute darauf und meine Realität veränderte sich, erweitert um ein nächstes konkretes Grauen. Und die Tage der Unbeschwertheit rückten wieder ein Stück weiter im Nebel, der hinter mir lag.

TV

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...