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Städtemeinung

Halle/Saale:

Ich komme aus Halle. Und immer wenn ich da bin, erinnern mich die Orte an Erlebnisse aus der Vergangenheit vorrangig Kindheit und Adoleszenz. Hier habe ich die B-52 in 1:72 gekauft, da bin ich mit dem Fahrrad in den Schotter gefallen, da bin ich im Herbst mit dem Rennruderboot ins Wasser gefallen. Ja, und hier hatte ich mein erstes Konzert...es hat immer etwas Melancholisches. Manche Häuser stehen nicht mehr, manche haben sich kaum verändert. Eben so die Menschen. Wenn zu Beispiel der Besitzer meines Elternhauses grad das Treppenhaus wischt und ich da durch muss und er mich streng bittet, mein Fahrrad über den feuchten Stein zu tragen, dann macht er das in dem selben Ton wie vor 18 Jahren, als er mich aufforderte meinen Gitarrenverstärker leiser zu drehen, den ich nach den ich, wenn aus der Schule kam nur Mittags laut machen konnte, weil da keiner in der Wohnung war. Oder Gabriel, den ich für seine Konsistenz bewundere, wie er den Hühnerklub zu einer Kulturverwirklichungsoase ausbaut und Menschen Platz gibt, sich zu entfalten. Mir auch, wie gesagt, gab ich eines meiner frühesten Konzerte im Keller am Steintor, weil er einer der wenigen war, die meinten, den Gästen mein Werk zu muten zu können. Oder das Haus, in dem ich meine erste WG hatte - das sieht exakt genau so aus. Von außen. Der Putz bröckelt und die Fenster sind angekippt. Und die Balkonmauer bei meinen Eltern, die mir nicht mal bis zum Becken reicht, obwohl ich früher nicht drüber schauen konnte (liegt daran, dass der Boden erhöht wurde und am Wachstum). Dann denke ich: so viel Zeit ist doch gar nicht vergangen und dann wieder: es ist so lange her. Ich bin noch der gleiche und gleich bin ich wieder ein anderer.

Hamburg:

Ich lerne und arbeite in Hamburg. Da bin ich zum Musik machen und freue mich immer wieder, wie angenehm fokussiert die Leute dort sind, mit denen ich Zeit verbringe. Ich habe dort gelernt meinen Kram durchzuziehen und dass man sich entscheiden muss für einen Sache, seine Sache. Die Menschen, die ich dort fand, sind alle sehr großzügig und freundlich, unterstützen mich, brachten und bringen mir so viel bei, geben mir Raum und Chancen (mehr als eine) und sind einfach da. Jan, Tobias, Julia, Viola und Jonas (inzwischen in B), Florian und Bent, Christin, Rüdiger...um nur einige zu nennen, euch gebührt mein ewiger Dank. Ich glaube, in Hamburg habe ich auch gelernt höflich zu sein und nicht nur ein apathischer Freak. Ja, ich glaube, Hamburg ist die Stadt, in der ich gelernt habe erwachsen zu agieren und auch wenn ich Außenseiter bleibe, dass es okay ist, mit Menschen zu reden und dass wenn man etwas dazulernt, das alte nicht verloren geht. Ich habe gelernt, dass es okay ist, sich zu verändern.

Berlin:

Mit Anfang 20 habe ich Zeit hier verbracht mit Filmmusik und morgendlichen Gängen nach Feiern mit Dirk, wo ich einen Blumenhändler bat, mir doch bitte mit dem Wasserschlauch die Schuhe nass zu machen, bevor ich zu einer Probeaufnahme für den Film "Zeit der Fische" ging. Bei Johannes habe ich mit Friedemann zusammen meine ersten richtigen Studioaufnahmen gemacht und später dann mit Florian und Leif in dem alten DDR-Popmusik-Studio, dass dann abgerissen wurde, wegen Yachthafen. Dann wieder zurück nach Hause im ICE mit Wodka aus der Spiegelbar des erwähnten Studios. Bei Fabian im Keller ein 3 Stunden-Konzert mit meiner Band, zu dem die Leute durch ein Gitter von der Straße aus hinabsteigen mussten. Und immer wieder erstaunen, wie angeregt die Leute hier bei Auftritten mein Schaffen würdigten. Seither fühle ich mich, als ob ich Berlin mit meiner Abwesenheit wie ein heranwachsendes Haustier vernachlässigt habe. Es kann aber auch sein, dass das Berlin egal ist.

Basel:

Eine Stadt, in der ich mich aufhielt, als ich etwas mit einer Frau hatte, das dem Begriff Romanze wirklich würdig ist. Ich fuhr zu ihr und hielt mich dort fast zwei Wochen auf. Im Nachhinein weiß ich gar nicht, ob sie das so gut fand. Aber manchmal macht man so was. Ich zerriss in einem Moment der Umnachtung zum Beispiel mein gesamtes Geld und schmiss es in die Luft.  Auf dem Weg nach B. hörte der Fahrer im Wagen die ganze Zeit ein Album von Leona Lewis. Und von diesem Album blieb mir dieses Lied in Erinnerung, dass in mir Resonanz erzeugte, denn ich ergriff auch die auswegslose Flucht vor meinem verletzten Herz. Es war die ganze Zeit richtig heiß, Juni oder so. Und zum Abschied legte sie ihre Hand auf mein Haupt. Erst als ich wieder zurück nach D-Land fuhr brach ein heftiges Gewitter los. Das waren sehr prägende 2 Wochen und ich danke der Dame dafür, dass ich sie mit ihr teilen konnte.

Leipzig:

Ich lebe in Leipzig. Die Idee, warum ich diese Liste hier anfertige kam mir, als ich gestern von der Autobahn 9 kommend in die Stadt zurück kehrte und mit jedem Meter, den ich ihr näher kam mehr Abscheu empfand. Die Häuser und vor allem die Menschen, die ich sah, stießen mich ab. Alle wirkten jung, gut gelaunt und entspannt und trugen ihren Drang zur Selbstverwirklichung zur Schau. Als ob sie alle gleichzeitig nichts zu tun und richtig viel drauf hätten und ihr Leben und ihre Ziele mit Leichtigkeit verwirklicht sähen und weil es nicht tun, weil es ihnen so leicht fällt. Mich überkam eine Übelkeit und mein Brustkorb verengt sich, wenn ich daran denke, wie viel Scheiße ich in dieser Stadt mir selbst und wenigen anderen zugefügt habe. Da denke ich natürlich sofort: warum bin ich dann hier?  und: Ich projeziere die Abscheu und Verachtung, die ich für mich selbst empfinde auf die Stadt und ihre Bewohner. Die können ja nichts dafür, wie ich so drauf bin. Und außerdem: habe ich hier einen Platz gefunden, an dem ich Existenzrecht habe, mitten in der Gesellschaft, da wo es sich manchmal anfühlt, als wäre ich Teil eines Museums oder einer Reichsbürgervereinigung voller renitenter Selbstverwirklichungverweigerer. Und abgesehen davon, hab ich hier gnädige Leute gefunden, deren auf Gegenseitigkeit beruhende Wertschätzung ich mir sicher sein kann, ich habe eine lange Liebe verloren, aber es wurde mir auch neue eine neue gegeben. Und so komme ich nicht um hin zu sagen, dass ich Leipzig zwar oft nicht ausstehen kann, aber trotzdem bleibe. Es schadet ja nicht, fit zu bleiben in Sachen Verachtung. Und wenn ich schreibe "Ich lebe in Leipzig." wird mir klar, dass das Leben die schlechten und die weniger schlechten Dinge beinhaltet.

Schluss jetzt.

T.

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